Rn 6

Das 1896 verabschiedete und 1900 in Kraft getretene Schuldrecht des BGB beruht weitgehend auf dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zum römischen Recht am Ende des 19. Jahrhunderts (Zimmermann The law of obligations 29 ff; Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 472 ff). Dass der Gesetzgeber dabei im Anschluss an Mommsen und Windscheidt auf eine ausdrückliche allgemeine Regelung der culpa-Haftung verzichtete (zur ursprünglichen Struktur des gesetzlichen Leistungsstörungsrechts s Vor §§ 275 ff Rn 2), führte bereits in den Jahren 1902/03 zur Etablierung der positiven Forderungsverletzung als eigenständige aber ungeschriebene Anspruchsgrundlage (RGZ 52, 18, 19 f; Staub FS DJT 1902, 29–56; Staub Die positiven Vertragsverletzungen 1904). Fast von Anfang an fielen daher der Text des Gesetzes und die geltende Rechtslage auseinander. Es ist nicht zuletzt dieser Umstand, der es Rspr und Lehre leicht gemacht hat, auch an anderer Stelle vom Text und gelegentlich auch vom Geist des Gesetzes abzuweichen (vgl Rüthers Die unbegrenzte Auslegung 13 ff et passim). Prominentestes Beispiel dafür ist die formal auf § 242 gestützte Entwicklung der Geschäftsgrundlagenlehre (s § 313 Rn 1). Zur Schuldrechtsmodernisierung von 2001/02 s 4. Aufl Rz 8.

 

Rn 7

Zu den bestimmenden Faktoren der Entwicklung des Schuldrechts zählt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts insbes das Verfassungsrecht (grundlegend: Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts 2001 7 ff). Zwar gelten Art 2 I GG und die verschiedenen spezielleren Grundrechte ganz überwiegend nicht unmittelbar unter Privaten (für die Ausnahme Art 9 III GG s BVerfGE 57, 220, 245 [BVerfG 17.02.1981 - 2 BvR 384/78]), jedoch sind einerseits die Normen des Schuldrechts hinsichtlich ihrer Wirksamkeit am Maßstab der Grundrechte zu messen oder grundrechtskonform auszulegen und andererseits fließen die Grundrechte als Kern der verfassungsrechtlichen Werteordnung in die Konkretisierung der zivilrechtlichen Generalklauseln, insbes §§ 138, 242, 826, mit ein (mittelbare Drittwirkung: grundlegend BVerfGE 7, 198, 205 f [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] [Lüth]; s § 242 Rn 13 ff). Teilw dient das Schuldrecht dabei auch der Durchsetzung verfassungsrechtlich gegebener Schutzaufträge an den Staat. Seit Mitte der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich zudem das Recht der Europäischen Union zu einem entscheidenden Taktgeber für die Wandlungen des Schuldrechts entwickelt (s Einleitung Rn 28 ff; sowie unten Rn 12–14).

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