Gesetzestext

 

Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

A. Einordnung und Zweck.

 

Rn 1

§ 5 setzt Art 5 RL 2000/43/EG, 7 I RL 2000/78/EG, 2 VIII RL 76/207/EWG, 6 RL 2004/113/EG um. Bestehende Nachteile tatsächlicher oder struktureller Art wegen eines in § 1 genannten Grundes sollen verhindert oder ausgeglichen werden, auch wenn dadurch bisher nicht benachteiligte Gruppen ungleich behandelt werden. Vorbild sind ›affirmative actions‹ nach US-amerikanischem Recht. Beispiele: bevorzugte Einstellung von Frauen in Betrieben mit überwiegend männlichen Beschäftigten, Bevorzugung von behinderten Menschen; ›diversity management‹ zur Schaffung einer vielfältigen Beschäftigungsstruktur. Gesetzliche Regelungen ua in BGremBG, BGleiG, §§ 76 IV, 96 II AktG, §§ 7 III, 18a MitBestG. Die zu fördernde Gruppe darf keinen absoluten Vorrang erhalten, keine ›starre‹ Quote (EuGH NZA 95, 1095 – Kalanke; BTDrs 16/1780, 34). ›Weiche‹ Quoten sind jedoch zulässig, daher dürfen zB Frauen, soweit statistisch in der Minderzahl, bei gleicher Eignung bevorzugt werden (EuGH NZA 00, 473 – Badeck); auch die Einstellung gleich qualifizierter männlicher Bewerber muss aber möglich bleiben, wenn überwiegende Gründe dafür sprechen (BAG NZA 96, 751 [BAG 05.03.1996 - 1 AZR 590/92 (A)]). Für behinderte Menschen geht § 5 über § 164 IV SGB IX hinaus, da letzterer nur für schwerbehinderte Menschen (§ 2 II SGB IX) gilt, das AGG hingegen schon für behinderte (§ 2 I SGB IX; § 1 Rn 7; BAG NJW 11, 2070 [BAG 27.01.2011 - 8 AZR 580/09]). § 5 ist gesonderter Rechtfertigungsgrund neben §§ 8–10, 20 und einschränkend auszulegen, da nach der Richtlinie nur Mitgliedstaaten positive Maßnahme ergreifen dürfen, der Gesetzgeber muss zumindest die Grundentscheidung treffen (ErfK/Schlachter § 5 Rz 2).

B. Maßnahmen.

 

Rn 2

›Maßnahmen‹ können Einzelentscheidungen sein, ebenso individuelle (zB Arbeitsvertrag, Mietvertrag) oder kollektive Vereinbarungen (zB Betriebs- oder Dienstvereinbarungen (BAG NZA 10, 327 [BAG 13.10.2009 - 9 AZR 722/08]), Integrationsvereinbarungen, Auswahlrichtlinien, Tarifverträge) oder Einzelmaßnahmen mit kollektivem Bezug (zB Gesamtzusagen, betriebliche Übung, Hausordnung).

C. Bestehende Nachteile.

 

Rn 3

Entscheidend ist die empirische Schlechterstellung einer Person oder Personengruppe aufgrund eines Merkmals nach § 1, zB schlechterer Zugang zu Arbeits-, Miet- oder Versicherungsverhältnissen. Nach dem Wortlaut (›bestehende‹) sind Nachteile, die bisher nicht empirisch nachgewiesen, künftig jedoch zu erwarten sind (aA BKG § 5 Rz 11), nicht erfasst. ›Verhindert‹ meint daher Verhinderung bereits bestehender Nachteile für die Zukunft, ›Ausgleich‹ deren Kompensation. Der Nachteil kann im konkreten Betrieb, aber auch überbetrieblich in konkreten Regionen oder bundesweit bestehen, der einzelne ArbG/Anbieter kann für Verhinderung und Kompensation sorgen, zB der ArbG zur Erhöhung des im Betrieb zu niedrigen Frauenanteils einen Betriebskindergarten einführen, oder der Anbieter besondere Kurse für Fitness im Alter oder zur Förderung/Integration Behinderter oder ethnischer Minderheiten.

D. Eignung.

 

Rn 4

Nur zur Verhinderung oder Kompensation geeignete Maßnahmen rechtfertigen die gleichzeitige Ungleichbehandlung anderer Gruppen.

E. Erforderlichkeit.

 

Rn 5

Anders als § 3 II Hs 2 wird ›Erforderlichkeit‹ nicht ausdrücklich verlangt. Der ArbG/Anbieter muss gleichwohl den geringstmöglichen Eingriff wählen aufgrund enger Auslegung von § 5 (Rn 1 aE).

F. Angemessenheit.

 

Rn 6

Der mit der Maßnahme angestrebte Zweck darf nicht außer Verhältnis zu der entstehenden neuen Ungleichbehandlung stehen (Zweck-Mittel-Relation ieS). Der ArbG/Anbieter hat hier – engen (Rn 1 aE) – Ermessensspielraum.

G. Beteiligung des Betriebsrates.

 

Rn 7

Positive Maßnahmen können Beteiligungsrechte des Betriebsrats auslösen, zB bei Personalplanung (§ 92 BetrVG), Gleichstellungsforderungen (§ 92 III BetrVG), Auswahlrichtlinien (§ 95 I BetrVG), Förderung von Berufsbildung (§ 96 BetrVG), Durchführung von Bildungsmaßnahmen (§ 98 BetrVG), Versetzung, Einstellung, Eingruppierung oder Umgruppierung (§ 99 BetrVG).

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