Rn 187

Die Pflichten des Herstellers enden nicht mit dem Inverkehrbringen des Produkts. Vielmehr ist er im Einklang mit dem allg Grundsatz, dass die Eröffnung eines Verkehrs Pflichten auch über diesen Zeitpunkt hinaus begründet (s.o. Rn 108) auch danach zur Produktbeobachtung verpflichtet (grundl BGHZ 80, 199, 202 f; weiterhin etwa BGHZ 99, 167, 171 ff; NJW 94, 3349, 3350; 09, 1080 Rz 10 ff). Umfasst werden die Überprüfung von Beanstandungen (passive Produktbeobachtung, zB BGH NJW 94, 517, 519 [BGH 07.12.1993 - VI ZR 74/93]; NJW-RR 95, 342, 343 [BGH 06.12.1994 - VI ZR 229/93]), die Beachtung fachlicher (Fort-)Entwicklungen sowie von Konkurrenzprodukten im Hinblick auf neue Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des Produkts (aktive Produktbeobachtung, zB BGHZ 80, 199; 99, 167; NJW 94, 3349; G Wagner VersR 14, 905, 906; für den Hersteller vollautomatisierter Fahrsysteme Preuß Haftungsrecht beim Einsatz hoch- und vollautomatisierter sowie vollautonomer Fahrzeuge 21, 212 ff), ggf auch laufende Tests. Umstritten ist noch, inwieweit eine Pflicht auch zur Beobachtung von Internetmeldungen und produktbezogenen Meldungen in sozialen Medien besteht (dazu zB Klindt/Wende BB 16, 1419 ff mwN). Hier sollten mit Blick auf die bislang wohl begrenzte Leistungsfähigkeit von Monitoring-Tools die Standards für die aktive Produktbeobachtung nicht zu hoch angelegt werden, so dass die Zumutbarkeit im Einzelfall genau zu prüfen ist. Langfristig erscheinen auch automatisierte Produktbeobachtungsprozesse denkbar (dazu zB Chibanguza in Chibanguza/Kuß/Steege Künstliche Intelligenz 22 K. § 5 Rz 25), bei denen allerdings eine Überwachung durch den Hersteller angebracht sein dürfte. Die Produktbeobachtungspflicht betrifft insb ›Ausreißer‹ (einzelne fehlerhafte Produkte, deren Fehler weder bei der Fabrikation vermeidbar noch für den Hersteller vor dem Inverkehrbringen erkennbar waren) sowie Entwicklungsfehler, die im Zeitpunkt der Konstruktion noch nicht erkennbar waren. Sie umfasst auch Wechselwirkungen mit den Produkten anderer Hersteller, insb wenn das Produkt typischerweise als Bestandteil oder Zubehör anderer Gegenstände verwendet wird (zB BGHZ 99, 167, 174; NJW 94, 3349, 3350; 95, 1286, 1288; vgl aber auch Stuttg VersR 01, 465, 467), wie etwa auch bei KI-Systemen (Steege NZV 21, 6, 11; tw einschränkend Spindler in Beck/Kusche/Valerius, Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht 20, 255, 265 ff; Grützmacher CR 21, 433, 435); ggf haften beide Hersteller als Gesamtschuldner, § 840 I. Umstritten ist, ob der Pflichtenstandard in Bezug auf derartige Kombinationen mit anderen Produkten genauso hoch ist wie bei isolierter Verwendung des Produkts (s Erman/Wilhelmi § 823 Rz 119; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 667 einerseits, BGH NJW 90, 906, 907 f [BGH 17.10.1989 - VI ZR 258/88]; 94, 3349, 3350 [BGH 27.09.1994 - VI ZR 150/93] mwN andererseits). Letztlich wird man auf die Umstände des Einzelfalls abstellen müssen, insb auf die typischen (Weiter-)Verwendungszwecke des Produkts. Noch zu konkretisieren sind in Zukunft Produktbeobachtungspflichten in Bezug auf softwaregestützte Produkte mit Gefahrenpotential; sie müssen zudem mit datenschutzrechtlichen Vorgaben in Einklang gebracht werden. Zur Produktbeobachtung von Software durch Automobilhersteller s Droste CCZ 15, 105, 107 ff; Hartmann DAR 15, 122, 124 f; Meents FS Taeger 13, 15 ff; Sieber-Fazakas/Sedlmaier PHI 21, 30, 34 ff; Xylander Die Verantwortlichkeit des Herstellers automatisierter Pkw nach Deliktsrecht sowie nach dem Produkthaftungsgesetz 21, 148 ff; zu smarten ›Hausgeräten‹ Grünvogel/Dörrenbacher ZVertriebsR 19, 87, 91; allg Chibanguza/Schubmann GmbHR 19, 313, 315 ff; Marly FS Taeger 1, 8 f; Wittig Die produzentenrechtlichen Verkehrssicherungspflichten von Softwareproduzenten 21, 218 ff; Spindler in Beck/Kusche/Valerius, Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht 20, 255, 264 f; Lüftenegger RDi 21, 293, 294 ff; Haagen Verantwortlichkeit für Künstliche Intelligenz 21, 248 ff, 270 ff; zur Einhaltung von IT-Sicherheitsstandards Böck/Theurer BB 21, 520, 523 ff; Wiebe InTeR 21, 66, 69 f; Wende FS Säcker 21, 91, 104.

 

Rn 188

Auch die konkrete Ausgestaltung der Produktbeobachtungspflicht richtet sich nach der Gefahr, die von dem jeweiligen Produkt ausgeht. Denkbar ist insb eine Warnpflicht des Herstellers (BGHZ 80, 199, 203 ff; 179, 157 Rz 10 ff), deren Inhalt und Ausgestaltung im Einzelfall mit der Instruktionspflicht beim Inverkehrbringen des Produkts vergleichbar sind (s nur BeckOGK/Spindler § 823 Rz 665 mwN). Reicht eine Warnung nicht aus, kommt eine Rückrufpflicht in Betracht (dazu insb BGHZ 179, 157 Rz 11 ff, weiterhin Bodewig/Michalski BB 98, 961; MüKo/Wagner § 823 Rz 1003; Ddorf NJW-RR 08, 411 [OLG Düsseldorf 16.03.2007 - I-17 U 11/06]; LG Bielefeld BeckRS 07, 14705; LG Frankfurt/M BB 07, 2368 f [LG Frankfurt am Main 01.08.2006 - 2-19 O 429/04], dazu Lenz PHI 07, 135, 137; Dietborn/Müller BB 07, 2358 ff; Xia Die Pflicht zum Produktrückruf gemäß § 823 Abs 1 BGB unter Berücksichtigung der...

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