Rn 81

Die Parteien eines Schuldverhältnisses haben sich so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden (BVerfG NJW 83, 32 [BVerfG 29.09.1982 - 1 BvR 1353/81]; BGH NJW-RR 04, 481, 483 [BGH 13.01.2004 - XI ZR 479/02]). Bei diesen Schutzpflichten handelt es sich um Pflichten iSv § 241 II (s § 241 Rn 14 f). Sie dienen vornehmlich dem Integritätsschutz und decken sich insoweit mit den Verkehrssicherungspflichten des Deliktsrechts (s § 823 Rn 107 ff). Gesetzlich geregelt sind solche Pflichten etwa in §§ 535 I 2, 569 I 1, 618, 701, § 62 HGB und § 7 III AGG (s aber BAG NZA 12, 1211 [BAG 21.06.2012 - 8 AZR 188/11] Rz 31). § 530 ist – auch hinsichtlich der Rechtsfolgenseite – lex specialis. Hauptquelle ist jedoch der in § 242 verankerte und in § 241 II angesprochene Grundsatz, dass jede Partei die gebotene Sorgfalt für die Integrität der anderen aufzuwenden hat (RGZ 78, 239, 240). Schutzpflichten auf dieser Grundlage kann jedes bestehende Schuldverhältnis enthalten; außerhalb des Vertrags ist dies im Blick auf die Lückenhaftigkeit der Haftung nach §§ 823 ff insbes im Stadium der Vertragsanbahnung von Bedeutung (s § 311 Rn 37 f). Das gilt umso mehr, als Pflichten dieser Art über den deliktischen Rechtsgüterschutz hinaus auch das Vermögen als solches schützen können. § 241 II gilt auch für die Auslobung (BGH ZGS 10, 508 Rz 12).

 

Rn 82

Die Rechtfertigung für die Annahme von Schutzpflichten liegt in der durch das Schuldverhältnis begründeten besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf die zu schützenden Rechtsgüter (vgl Saarbr NJW-RR 95, 23 [OLG Saarbrücken 21.05.1993 - 4 U 79/92]), bei Verträgen zusätzlich in der Annahme, die Parteien hätten sich gegenseitig zum Rechtsgüterschutz verpflichten wollen. So ist die persönliche Ehre des Vertragspartners und seiner Mitarbeiter auch vertraglich geschützt (BAG NZA 06, 917, 920 [BAG 12.01.2006 - 2 AZR 21/05]). Besondere Einwirkungsmöglichkeiten ggü Personen bestehen ferner bei Dienst-, Miet- und Geschäftsräumen; diese müssen sich in einem für die beteiligten Kunden, Mieter und Arbeitnehmer gefahrlosen Zustand befinden (s §§ 535 I 2, 618, § 62 HGB; RGZ 78, 239, 240; BGHZ 66, 51, 53 ff). Dasselbe gilt zu Lasten der Bahn auch für Bahnanlagen (BGH NJW 12, 1083) sowie für Anlagen für Sportwettkämpfe (BGH ZGS 10, 508 Rz 15). Im Arbeitsverhältnis werden die Pflichten aus § 618 durch das ArbSchG konkretisiert (BAG NZA 07, 262, 263 [BAG 14.12.2006 - 8 AZR 628/05]). Entspr gilt für die möglicherweise von geleisteten oder überlassenen beweglichen Gegenständen ausgehenden Gefahren (§ 694; § 410 HGB), die sich freilich überwiegend mit dem jeweiligen Leistungsinteresse decken (vgl §§ 434 III, 524 [str, s Rn 3], 535 I 2, 633 II 2 [vgl RGZ 148, 148, 150]). Solche Integritätspflichten bestehen auch beim Umgang mit Daten des Vertragspartners. Dies gilt etwa für die unbefugte Weiterleitung von Fahrzeugdaten an Dritte (in diese Richtung Hamm ZD 16, 230). In diesem Zusammenhang können insbes datenschutzrechtliche Standards zur Bestimmung des schuldrechtlichen Pflichtenprogramms maßstabsbildend sein. So ist etwa der Verkäufer zur Information verpflichtet, dass durch den Anschluss eines ›Smart-TV‹ an das Internet Daten über den Nutzer erhoben werden können, ohne dass zuvor eine Information oder Zustimmung eingeholt wird (LG Frankfurt ZD 16, 494). Ein Websitebetreiber ist verpflichtet, über die Datenweitergabe infolge eines Klicks auf einen eingebundenen ›Gefällt mir-Button‹ von Facebook aufzuklären (LG Düsseldorf ZD 16, 231[jew zu § 13 TMG aF]).

 

Rn 83

Umgekehrt treffen besondere Schutzpflichten denjenigen, der eine dem anderen Teil gehörende Sache in seine Obhut nimmt (s § 425 ff HGB; vgl §§ 536c, 538, 602 f, 690; RGZ 108, 341, 343 [während Annahmeverzug]; BGH NJW 79, 811, 812 [Empfänger einer mangelhaften Sache vor Rücksendung]; BGH NJW 83, 113 [BGH 23.09.1982 - VII ZR 82/82] [zu reparierende Sache]); das diesen Konstellationen innewohnende Verwahrungselement hat freilich bislang nicht zu einer generellen Anwendung der §§ 688 ff geführt (vgl § 688 Rn 5).

 

Rn 84

Vermögensschützende Pflichten ergeben sich insbes bei vermögensbezogenen Dienstleistungen; so ist etwa die darlehensgewährende Bank dem Kreditnehmer ggü zur Verschwiegenheit verpflichtet (München ZIP 04, 19, 21; BGH NJW 07, 2106 Rz 17; grundlegend und rechtsvergleichend Kramme Der Konflikt zwischen dem Bankgeheimnis und Refinanzierungsabtretungen, Deutschland – Frankreich – Schweiz 2014, 98 ff) und sie darf dessen Kreditwürdigkeit weder durch Tatsachenbehauptungen, auch wenn sie wahr sind, noch durch Werturteile und Meinungsäußerungen gefährden (BGH NJW 06, 830 [BGH 24.01.2006 - XI ZR 384/03] [Kirch Media vs Deutsche Bank und Breuer]). Dasselbe gilt für die klassischen Beratungsberufe (s § 43a II BRAO für Rechtsanwälte u § 1 II BOStB für Steuerberater). Entspr kann sich bei anderen Dienstleistungen mit der Gefahr größerer Vermögensschäden ergeben: Bspw sind der Telefondienstanbieter und der Netzbetrei...

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