Rn 70

Das deutsche Recht kennt keine generelle Pflicht der Parteien von Schuldverhältnissen zur gegenseitigen Aufklärung (Auskunft, Anzeige, Hinweis, Mitteilung, Offenbarung, Information), und zwar weder vertraglich noch außervertraglich. Das gilt auch für Personen, die fremde Angelegenheiten zu betreuen haben (BGH NJW 88, 1906 f). Jedoch kennt das Gesetz zahllose einzelne Tatbestände, welche Pflichten zur Aufklärung und Information begründen (etwa §§ 312a, 312d, 312e, 312i, 312j, 402, 479, 482, 492, 556g III, 651d, 666, 675a, 681, 1379, 1580, 1605, 1686, 2027, 2057, 2127, 2130 II, 2218, Art 246–252 EGBGB sowie Art 13–15 DSGVO und §§ 32, 33 BDSG). Neben diesen kann sich eine Auskunftspflicht auch aus § 242 ergeben (s.a. die Nachweise § 280 Rn 6686; zu Grenzen der Auskunftspflicht s Rn 50), wobei die Wertungen der spezielleren Tatbestände nicht unterlaufen werden dürfen (BGH GRUR 22, 1675 Rz 52). Pflichten dieser Art stehen in engem Zusammenhang mit dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz und dienen daher (häufig auch) der Vorbereitung weiterer Ansprüche. Jedoch kommt ein Anspruch auf sog Grundauskunft über das Bestehen eines Rechts oder einer Rechtsverletzung nicht in Betracht (BGH NJW 22, 3422 [Ausnahme: Verwertungsgesellschaften]). Soweit eine solche Auskunftspflicht auch eine Pflicht zur Rechenschaft beinhaltet, richten sich die weiteren Einzelheiten nach §§ 259–261 (s § 259 Rn 3). Von Pflichten zur Aufklärung und Information zu trennen ist die Pflicht zur Wahrhaftigkeit gegebener Auskünfte und Informationen. Auch wenn Erstere nicht besteht, dürfen keine falschen oder irreführenden Informationen gegeben werden (BGH NJW-RR 91, 178, 179 [BGH 18.10.1990 - IX ZR 4/90]; 91, 1246, 1247 f [fehlerhafte Prospektangaben]). Das gilt etwa für Ertragsauskünfte bei Anbahnung eines Handelsvertreterverhältnisses (Schipper NJW 07, 734 f). Der Inhaber eines elektronisch lesbaren Personalausweises ist zur unverzüglichen Verlustanzeige verpflichtet, um Schäden Dritter aus Täuschungen über die Identität zu verhindern (Borges NJW 10, 3334, 3338 f).

 

Rn 71

Die Ableitung einer Aufklärungspflicht aus § 242 setzt voraus, dass der Berechtigte über den Bestand und den Umfang seiner Rechte im Ungewissen ist und diese Ungewissheit nicht zu verantworten hat, sowie dass der Verpflichtete unschwer Auskunft erteilen kann (RGZ 108, 1, 7; BGHZ 81, 21, 24; 95, 285, 287 f; BGH NJW 14, 155 Rz 20; BGH VersR 16, 1236 Rz 7; BGH NJW 18, 2324 Rz 56 [kein Anspruch gg Suchmaschinenbetreiberin auf Auskunft über Identität des Verfassers beanstandeter Äußerungen]). ›Unschwer‹ kann die Auskunft erteilt werden, wenn die mit der Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen nicht ins Gewicht fallen oder dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers und der Bedeutung der Auskunft für deren Beseitigung zumutbar sind (BGH NJW 07, 1806). Außerdem muss die Annahme einer Pflicht zumutbar und verhältnismäßig sein (BGHZ 10, 385, 387; 70, 86, 91; 95, 285, 288). Dem Richter obliegt eine Abwägung zwischen dem Auskunftsinteresse des Berechtigten und den legitimen gegenläufigen Interessen des anderen Teils (BGH WM 13, 2163 Rz 19; BGH NJW 15, 1098; NK/Krebs § 242 Rz 50; s auch BVerfG NJW 12, 443 Rz 19). Daher besteht keine Aufklärungspflicht, wenn sich der Berechtigte die Informationen in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann (Hamm NJW-RR 01, 236, 237), über sie als Teilnehmer am Rechtsverkehr ohnehin verfügen müsste (BGH BB 10, 1289 Rz 26) oder vorrangig durchzusetzende Auskunftsansprüche hat (BAG AP Nr 5 zu BetrAVG § 1 Auskunft Rz 24; BGH NJW 18, 2629 [BGH 08.02.2018 - III ZR 65/17]). Keine Auskunftspflicht besteht auch, wenn der Schuldner zur Auskunftserteilung über einen Dritten [hier Nutzer einer Bewertungsplattform im Internet] datenschutzrechtlich nicht befugt ist (BGH NJW 14, 2651 [BGH 01.07.2014 - VI ZR 345/13] Rz 9). Zweifelhaft ist hingegen der gelegentlich angenommene Ausschluss des Auskunftsanspruchs zum Zwecke der Beweismittelgewinnung (BGH NJW 13, 2015 [BGH 19.03.2013 - XI ZR 46/11] Rz 34). Häufig wird erst das Auskunftsverlangen die Pflicht auslösen (NK/Krebs § 242 Rz 50), während ohne ein solches erheblich höhere Anforderungen zu stellen sind (BGH NJW 88, 1965, 1966 [BGH 25.11.1987 - IVb ZR 96/86] [Schweigen offensichtlich unredlich]). Rechtsvergleichend und kollisionsrechtlich hierzu Osthaus, Informationszugang. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Auskunftsschuldners (BGHZ 191, 259 Rz 24; BGHZ 196, 207 Rz 34) oder Dritter (BGH WM 13, 2163 Rz 19 ff [Versicherungsnehmer]) kann eine Grenze setzen. Dies ist bei einer Klage des Scheinvaters gegen die Mutter auf Mitteilung des potentiellen Vaters der Fall. Ein Auskunftsanspruch bedürfe einer gesetzlichen Grundlage (BVerfG NJW 15, 1506 [BVerfG 24.02.2015 - 1 BvR 472/14]; anders noch BGHZ 196, 207 Rz 35; BGH NJW 14, 2571 [BGH 02.07.2014 - XII ZB 201/13] Rz 15 jedenfalls nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung). Bei der Klage des Kindes gegen die Klinik auf Auskunft ...

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