Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 28.01.2014; Aktenzeichen 15 UF 165/13)

AG Bad Segeberg (Beschluss vom 27.09.2013; Aktenzeichen 13a F 40/13)

 

Tenor

1. Die Vollstreckung des Beschlusses des Amtsgerichts Bad Segeberg vom 27. September 2013 – 13a F 40/13 –, bestätigt durch Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2014 – 15 UF 165/13 –, wird einstweilen bis zur abschließenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

2. Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde, mit der ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden worden ist, betrifft die Verpflichtung einer Mutter zur Auskunft über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters des Kindes.

1. Die Beschwerdeführerin führte mit dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Herr R.) eine Beziehung, während derer sie schwanger wurde. Bevor die Tochter im Oktober 1991 geboren wurde, heirateten die Beschwerdeführerin und Herr R. mit der Folge, dass dieser nach § 1592 Nr. 1 BGB rechtlicher Vater des Kindes wurde. 1995 wurde die Ehe geschieden.

Anfang 2011 wurde auf Antrag des Herrn R. im Vaterschaftsanfechtungsverfahren durch das Familiengericht rechtskräftig festgestellt, dass er nicht der Vater der Tochter der Beschwerdeführerin ist. Da er während der Zeit der rechtlichen Vaterschaft zumindest zeitweise für den Unterhalt des Kindes aufgekommen war, beabsichtigt er nun, gegen den leiblichen Vater Regressansprüche geltend zu machen (vgl. § 1607 Abs. 3 BGB). Im Oktober 2012 forderte Herr R. die Beschwerdeführerin auf mitzuteilen, wer der leibliche Vater ihrer Tochter ist. Nachdem die Beschwerdeführerin dies ablehnte, nahm Herr R. sie im vorliegenden Ausgangsverfahren auf Auskunft in Anspruch.

Das Amtsgericht verpflichtete die Beschwerdeführerin daraufhin, dem Antragsteller Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht zurück. Die Gerichte begründeten die Verpflichtung der Beschwerdeführerin im Wesentlichen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 9. November 2011 – XII ZR 136/09 –, BGHZ 191, 259 = FamRZ 2012, S. 200; Beschluss vom 20. Februar 2013 – XII ZB 412/11 –, BGHZ 196, 207 = FamRZ 2013, S. 939). Nach der ersten dieser Entscheidungen ist eine Mutter dem ehemals rechtlichen Vater gegenüber nach dessen erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft jedenfalls dann zur Auskunft über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters verpflichtet, wenn sie den ehemals rechtlichen Vater zur Anerkennung der Vaterschaft (vgl. § 1592 Nr. 2, §§ 1594 ff. BGB) veranlasst hatte. Im zweiten Fall hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine entsprechende Auskunftspflicht der Mutter grundsätzlich auch dann besteht, wenn eine durch Ehe begründete Vaterschaft (vgl. § 1592 Nr. 1 BGB) erfolgreich angefochten worden ist.

2. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die Entscheidungen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Verpflichtung zur Auskunft über sexuelle Beziehungen aus einer Zeit, in der sie mit Herrn R. nicht verheiratet gewesen sei und nur in einer „lockeren” Beziehung gelebt habe, stelle einen prinzipiell unzulässigen Eingriff in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung dar. Sollte hingegen von einem grundsätzlich zulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht auszugehen sein, müsse jedenfalls die dann gebotene Interessenabwägung aufgrund der besonderen Umstände des Falls, die die Gerichte nicht ausreichend berücksichtigt hätten, zugunsten der Beschwerdeführerin ausfallen. Herrn R. gehe es mit seinem Ansinnen vor allem darum, sie bloßzustellen. Regressansprüche gegen den leiblichen Vater seien ohnehin verjährt und verwirkt.

3. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Beschwerdeführerin eine Aussetzung der Vollstreckung der angegriffenen Beschlüsse.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens und die schleswig-holsteinische Landesregierung hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Ersterer hat sich geäußert und ist der Auffassung, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zurückzuweisen, weil die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet sei.

III.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 ≪186≫; 103, 41 ≪42≫; stRspr).

Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bleibt (vgl. BVerfGE 88, 185 ≪186≫; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ≪111≫; stRspr).

2. Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und nicht offensichtlich unbegründet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte die vorliegend einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 96, 56 ≪61 ff.≫; 117, 202 ≪233≫) nicht ausreichend beachtet haben.

b) Die hiernach vorzunehmende Folgenabwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung.

Würde die einstweilige Anordnung nicht erlassen, bliebe die Beschwerdeführerin aufgrund der rechtskräftigen Entscheidungen der Gerichte zur Erteilung der Auskunft verpflichtet. Weigerte sie sich weiterhin, die Auskunft zu erteilen, müsste sie jederzeit mit der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen, das heißt mit der Festsetzung eines Zwangsgeldes oder von Zwangshaft, rechnen (vgl. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 888 ZPO). Käme sie der Auskunftsverpflichtung nach, hätte die Verfassungsbeschwerde jedoch später in der Hauptsache Erfolg, hätte die Beschwerdeführerin durch die erzwungene Preisgabe privater und notwendig auch intimer Informationen eine Grundrechtsverletzung erlitten, die nicht rückgängig gemacht werden könnte.

Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde jedoch in der Folge als erfolglos, wäre Herr R. für die vom Bundesverfassungsgericht bestimmte, durch § 32 Abs. 6 BVerfGG begrenzte Dauer vorübergehend an der Vollstreckung des von ihm rechtskräftig erwirkten, die Beschwerdeführerin zur Auskunft verpflichtenden Titels gehindert, womit sich auch die Möglichkeit der Geltendmachung eines etwa bestehenden und durchsetzbaren Unterhaltsregressanspruchs entsprechend verzögerte.

Wägt man die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die der Beschwerdeführerin im Falle der Versagung der einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die Nachteile, die Herrn R. im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung entstehen könnten. Während im ersten Fall die Beschwerdeführerin intime Informationen unumkehrbar preisgeben müsste, hätte Herr R. im zweiten Fall lediglich eine Verzögerung der Geltendmachung seines Auskunfts- und gegebenenfalls Regressanspruchs hinzunehmen.

IV.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

 

Unterschriften

Kirchhof, Eichberger, Britz

 

Fundstellen

Haufe-Index 6556720

FamRZ 2014, 1097

FF 2014, 261

FamRB 2014, 330

NZFam 2014, 405

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