Rn 46

Verletzt der Inhaber einer Rechtsposition eigene Pflichten, ergeben sich die Konsequenzen dieses Fehlverhaltens regelmäßig aus den geschriebenen Regeln des allg und des besonderen Schuldrechts, also insbes § 254 (s BGH VersR 06, 847, 850) sowie den §§ 293 ff, 273 f, 320 ff und §§ 314, 323 ff, 280 ff (s Schmidt-Kessel Gläubigerfehlverhalten § 22); die Schuldrechtsmodernisierung hat dazu geführt, dass eine Reihe der früher über § 242 erzielten Lösungen nunmehr in den genannten Vorschriften enthalten sind (etwa BAG EzBAT § 49 BAT Nr 16 [Entbehrlichkeit der Mahnung nach Erfüllungsverweigerung, jetzt § 286 II Nr 1]). Deren differenzierte Lösungen zeigen, dass es keinen allg Grundsatz des Inhalts gibt, dass nur derjenige Rechte durchsetzen könne, der sich seinerseits rechts- oder vertragstreu verhalten hat (so auch die hA BGH NJW 71, 1747, 1748; BAG NJW 75, 229, 230; BGH FamRZ 10, 1639 Rz 29; BGH NJW 15, 955 Rz 33; NK/Krebs § 242 Rz 79; Kramme Der Konflikt zwischen dem Bankgeheimnis und Refinanzierungsabtretungen, Deutschland – Frankreich – Schweiz 2014, 290 ff; aA Wieacker Präzisierung 31). Soweit die genannten Vorschriften keine Lösungen bieten, kommt im Einzelfall eine Anwendung von § 242 in Betracht, so etwa im Falle der Berufung eines Betriebsunterbrechungsversicherers auf eine Kapitalmangelklausel, wenn der Kapitalmangel darauf beruht, dass der Versicherer auf die ebenfalls bei ihm abgeschlossene Maschinenschadensversicherung (BGH NJW-RR 06, 394, 396 [BGH 16.11.2005 - IV ZR 120/04]; auch zur Anwendung von § 254) verspätet geleistet hat. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung kann sich auf eine nach dem Versicherungsfall geschlossene Vereinbarung, welche die Rechtsposition des Versicherungsnehmers einschränkt, nicht berufen, wenn sie den Versicherungsnehmer nicht auf diese Einschränkung deutlich hingewiesen hat (BGH NJW-RR 07, 753 [BGH 07.02.2007 - IV ZR 244/03]; 07, 1034 [BGH 28.02.2007 - IV ZR 46/06]). Auch die kostenrechtliche Verpflichtung einer jeden Prozesspartei, die später vom Gegner zu erstattenden Kosten so gering wie möglich zu halten (BGH NJW 13, 66 [BGH 11.09.2012 - VI ZB 59/11] Rz 10) sowie die Wahrung des Vorrangs bestimmter öffentlich-rechtlicher Erstattungspflichten (BVerwG NVwZ-RR 13, 1003 [BVerwG 13.06.2013 - BVerwG 5 C 30.12] Rz 17 ff) werden hier relevant. Die Bewahrungsaufgabe des Treuhandverhältnisses schließt regelmäßig die Aufrechnung mit nicht konnexen Gegenforderungen aus (BGH NJW 12, 330 [OVG Nordrhein-Westfalen 30.08.2011 - 6 E 775/11] [gg Mietkaution]). Hingegen verlangt § 242 trotz www.insolvenzbekanntmachungen.de von einem Unternehmer nicht, anlasslose Überprüfungen seiner Vertragspartner durchzuführen (BGH NJW 10, 1806 [BGH 15.04.2010 - IX ZR 62/09]).

 

Rn 47

Unter § 242 wird die Verletzung eigener Pflichten va auf zweierlei Weise sanktioniert: Zum einen kann der Ausübung von Rechtsbehelfen wegen Pflichtverletzungen des anderen Teils der tu-quoque-Einwand entgegenstehen. Das gilt insbes für solche Rechtsbehelfe, die von einem Vertretenmüssen des anderen Teils unabhängig sind, also für §§ 314, 323 ff (vgl RGZ 67, 313, 318 f; RGZ 171, 297, 304; BGH NJW 90, 3008, 3009; BGHZ 138, 195, 209 f [in concreto verneint]), für Fälle einer verschuldensunabhängigen Vertragsstrafe (RGZ 147, 228, 233; BGH NJW 71, 1126; vgl Staud/Rieble [2009] § 339 Rz 169 [Analogie zu § 162]), bei – vereinbarten oder gesetzlichen – Fälligkeitszinsen (BGH DNotZ 78, 478, 479 [BGH 10.03.1978 - V ZR 67/76]) sowie bei Ansprüchen nach §§ 906, 1004 (s BGH NJW 08, 1810 [BGH 15.02.2008 - V ZR 222/06]). Die Relevanz des tu-quoque-Einwands ist seit der Schuldrechtsreform durch die Unabhängigkeit der Gestaltungsrechte Kündigung, Rücktritt und Minderung von einem Vertretenmüssen erheblich gewachsen, jedoch hat die Regel insoweit einen ausdrücklichen gesetzlichen Niederschlag in § 323 VI gefunden (wie hier auch Brandbg 4 U 82/06 v 13.12.06, juris Rz 56). Diese Vorschrift, die entspr auch bei § 314 anzuwenden ist (Schmidt-Kessel Gläubigerfehlverhalten § 11 VIII), verdrängt in ihrem Anwendungsbereich den allg auf § 242 gestützten Grundsatz.

 

Rn 48

In extremen Fällen kann die Verletzung eigener Pflichten sogar zu einem Rechtsverlust führen (›Verwirkung‹ durch Treueverstoß). Beispiele sind etwa die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen (jetzt § 1611, dazu BGH NJW 10, 3714 [BGH 15.09.2010 - XII ZR 148/09] Rz 40 f; s.a. § 1579 Rn 3 ff, § 1611 Rn 1 ff), der Verlust von Ansprüchen auf Nutzungsentschädigung aus §§ 987, 990 bei Verletzung der Pflicht zur Rücknahme (BGH NJW-RR 05, 743, 745 [BGH 26.11.2004 - V ZR 90/04]), die Berufung auf eine ausschl Bezugsbindung bei unzulässiger Verweigerung der Belieferung (Nürnbg NJW 72, 2270, 2271), die Geltendmachung eines Honoraranspruchs durch den WE-Verwalter, der es pflichtwidrig unterlässt, eine Wohnungseigentümerversammlung mit dem Ziel seiner sofortigen Abberufung anzuberaumen (München NZM 06, 631 [OLG München 21.06.2006 - 34 Wx 28/06]), die Nachforderung von Architektenhonorar bei in besond...

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