Rn 11

Darüber hinaus haben Rspr und Lehre den Grundsatz der Formfreiheit aufgrund einer aus dem Zweck der betreffenden Formvorschrift herzuleitenden teleologischen Reduktion des II wesentlich eingeschränkt. Nach der Rspr gelten Formvorschriften mit einer Warnfunktion (zB §§ 311b I, 518, 766, 780, 781) auch für die Vollmacht, wenn die Vollmacht unwiderruflich oder sonst mit gleicher rechtlicher oder tatsächlicher Bindung erteilt wurde (BGH NJW 98, 1857, 1858 f [BGH 01.04.1998 - XII ZR 278/96]). Für diese Auffassung und gegen die weitergehende Ansicht, dass die Formvorschriften mit Warnfunktion generell auf die Erteilung der Vollmacht zum Abschluss eines formbedürftigen Geschäfts anzuwenden sind (Staud/Schilken Rz 20), spricht, dass es keiner Warnung bedarf und die Reduktion des II daher zu weit ginge, wenn noch nicht einmal eine faktische Bindung eintritt (Bork Rz 1466).

 

Rn 12

Insbes eine Vollmacht zum Grundstücksverkauf oder -erwerb nach § 311b I ist nach stRspr formbedürftig, wenn sie unwiderruflich erteilt wurde und damit für den Vollmachtgeber bereits eine Bindung mit sich bringt (BGHZ 132, 120, 124). Das gilt auch, wenn die Vollmacht zeitlich begrenzt widerrufen werden kann (Karlsr NJW-RR 86, 100, 101). Formbedürftig ist die Vollmacht auch, wenn sie zwar widerruflich erteilt wurde, tatsächlich aber nach der Vorstellung des Vollmachtgebers bereits mit der Vollmachtserteilung die gleiche Bindungswirkung eingetreten ist wie durch den Abschluss des formbedürftigen Hauptvertrages (BGHZ 132, 120, 124). Das ist etwa der Fall, wenn das Rechtsgeschäft ausschließlich den Interessen des Bevollmächtigten dient und ihm die Möglichkeit eröffnet wird, die Vollmacht unverzüglich zu seinen Gunsten zu verwerten (BGHZ 132, 120, 124 f), eine Partei eine bindende Erwerbsverpflichtung eingeht (BGH NJW 85, 730) oder wenn für den Fall des Widerrufs eine Vertragsstrafe vereinbart ist (BGH NJW 71, 557 f [BGH 18.12.1970 - IV ZR 1155/68]). Dagegen ist die Befreiung des Bevollmächtigten von § 181 für sich allein noch kein ausschlaggebender Gesichtspunkt (BGH NJW 79, 2306, 2307 [BGH 23.02.1979 - V ZR 171/77]; OLG Frankf NJW-RR 2013, 722 [OLG Nürnberg 07.01.2013 - 4 U 585/12]; MüKo/Schubert § 167 Rz 21; aA Neuner AT § 50 Rz 21). Die in der Literatur vertretene Auffassung, dass die Vollmacht auch dann formbedürftig sei, wenn sie dem Bevollmächtigten keinen eigenen Entscheidungsspielraum belässt (Neuner AT § 50 Rz 21; MüKo/Schubert § 167 Rz 20), findet in der Rspr keine Stütze (BGH NJW 98, 1857, 1857 [BGH 01.04.1998 - XII ZR 278/96]).

 

Rn 13

Außerhalb von Grundstücksgeschäften ist die Vollmacht zur Übernahme einer Bürgschaft generell nach § 766 formbedürftig (BGHZ 132, 119, 125). Formbedürftig sind auch die bindende Vollmacht zum Abschluss eines Erbteilübertragungsvertrages (BayObLGZ 54, 225, 234) und die unwiderrufliche Vollmacht zur Abtretung von Steuererstattungsansprüchen (BFH WM 83, 402, 403 f). Dagegen bedarf eine widerrufliche Vollmacht zum Abschluss eines Ehevertrages nicht der Form des § 1410 (BGH NJW 98, 1857, 1858 f; aA Vollkommer JZ 99, 522, 523 f [BGH 01.04.1998 - XII ZR 278/96]). Da der Formzwang bei der Übertragung von GmbH-Anteilen nach § 15 III GmbHG nicht dem Schutz der Vertragsparteien dient, sondern den Zweck verfolgt, die Umlauffähigkeit von GmbH-Anteilen zu beschränken, ist – außer im Falle einer Blankovollmacht – eine Vollmacht zur Übertragung von GmbH-Anteilen auch dann nicht formbedürftig, wenn sie unwiderruflich erteilt wurde (BGHZ 19, 69, 72; Staud/Schilken Rz 27).

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