Gesetzestext

 

Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt

1. der Scheidung,
2. der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes,
3. der Beendigung der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung oder
4. des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573 an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die Vorschrift erstreckt die eheliche Solidarität über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus auf dauerhafte krankheitsbedingte Bedürfnislagen. Die gesundheitlichen Einschränkungen müssen ursächlich für die Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit sein (BGH FamRZ 04, 779). Die Mitverantwortung des leistungsfähigen Unterhaltsschuldners ggü dem bedürftigen geschiedenen Ehegatten ist eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens, unabhängig vom Gesundheitszustand bei Eheschließung. Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen aus Erwerbstätigkeit erzieltes Einkommen ist nicht stets überobligatorisch (BGH FamRZ 98, 899). § 1572 erschöpft sich nicht im Ausgleich ehebedingter Nachteile. Ein Unterhaltsanspruch wegen Krankheit kann auch bestehen, wenn die Krankheit unabhängig von der Ehe und ihrer Ausgestaltung durch die Eheleute eingetreten ist (BGH FamRZ 10, 1057; Brandbg FamRZ 21, 1024).

B. Anspruchsvoraussetzungen.

 

Rn 2

Anspruchsberechtigt ist, wer in einem der maßgeblichen Einsatzzeitpunkte nicht oder nur teilw infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte durch eine angemessene eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensbedarf decken kann (eingehend hierzu Born FamRZ 22, 759 und Rn 7). Der Gesetzgeber hat die Grenzen der nachehelichen Solidarität bewusst eng gezogen und den Tatbestand der Einsatzzeitpunkte scharf eingegrenzt. Jede andere (großzügigere) Betrachtung, insb des nahen zeitlichen Zusammenhangs, liefe der Intention zuwider, wonach schicksalsbedingte Ereignisse, die sich nach der Scheidung im Leben eines geschiedenen Ehegatten einstellen, grds nicht zu Lasten des anderen Ehegatten gehen dürfen. Ist im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit eine Erwerbstätigkeit nicht zu erwarten, besteht ein originärer Anspruch auf Krankheitsunterhalt. War im Zeitpunkt der Scheidung nur eine teilschichtige Erwerbstätigkeit möglich und verschlimmert sich in der Folgezeit die Krankheit so sehr, dass im nahen zeitlichen Zusammenhang völlige Erwerbsunfähigkeit eintritt, ist der spätere völlige Wegfall der Erwerbstätigkeit noch dem Einsatzzeitpunkt der Scheidung zuzurechnen.

 

Rn 3

Eine Ehebedingtheit der Bedürftigkeit ist nicht Anspruchsvoraussetzung (BGH FamRZ 04, 779; Kobl FamRZ 20, 1262). Die von § 1572 erfasste Bedürfnislage kann auch auf einer bereits vor der Ehe ausgebrochenen und im Zeitpunkt der Scheidung noch bestehenden Erkrankung beruhen (BGH FamRZ 96, 1273). Der Anspruch besteht auch, wenn der Verpflichtete im Zeitpunkt der Eheschließung die bereits bestehende Erkrankung nicht kannte. § 1579 Nr 8 findet regelmäßig keine Anwendung (BGH FamRZ 95, 1405; vgl iÜ Rn 10). Verschulden (denkbar etwa bei Alkohol- u Drogensucht) ist nicht erforderlich, kann jedoch über § 1579 Nr 4 berücksichtigt werden (BGH NJW 88, 1147 [BGH 13.01.1988 - IVb ZR 15/87]).

I. Krankheit, Gebrechen oder geistige Schwäche.

 

Rn 4

Krankheit wird als objektiv fassbarer regelwidriger Zustand umschrieben und entspricht dem Sozialversicherungsrecht (vgl § 240 II SGB VI) und Beamtenrecht (§ 44 I 1 BBG), sodass die dort entwickelten Grundsätze auch iRd § 1572 heranzuziehen sind.

Es ist auf die entspr sozialversicherungsrechtlichen Begriffsbestimmungen (SGB VI § 240 II, § 42 I 1 BBG) zurückzugreifen. Krankheit ist ein objektiv fassbarer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BGH FamRZ 10, 1414). Krankheit idS sind auch eine Alkohol- und Drogensucht, Medikamentenabhängigkeit (BGH FamRZ 88, 375; Foerste FamRZ 99, 1245) sowie eine Rentenneurose bei Steuerungsunfähigkeit und Übergewicht (Köln FamRZ 92, 65) oder Depressionen (BGH FamRZ 10, 1057). Gebrechen sind alle von der Regel abweichenden körperlichen oder geistigen Zustände, mit denen für nicht absehbare Zeit zu rechnen ist (BSG NJW 61, 987 [BSG 02.03.1961 - 4 RJ 198/59]), etwa Blindheit, Taubheit, Lähmung etc. Zur körperlichen oder geistigen Schwäche zählen ua vorzeitiger Kräfteverbrauch, Altersabbau, mentale Retardierung, nicht kompensierbare Persönlichkeitsstörungen, Konzentrationsschwächen etc (Bambg FamRZ 00, 231). Unterhalts- oder Rentenneurosen sind als neurotische Störung aufgrund der Angst, den Unterhaltsanspruch zu verlieren, als Krankheit anzusehen, wenn die neurotische Störung Krankheitswert hat und nicht ohne Behandlung durch die Aberkennung des Unterhaltsanspruchs überwunden werden kann. Die Feststellung, ob die Willens- oder Steuerungsfähigkeit krankheitsbedingt eingeschränkt ist oder ob es sich nur um eine Simulation handelt, ist ohne ärztliche Begutachtung...

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