Rn 19

Voraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung ist eine planwidrige Lücke in der vertraglichen Regelung (BGH NJW 02, 670 [BGH 18.10.2001 - I ZR 91/99]; 11, 2977, 2978 [BGH 14.07.2011 - III ZB 70/10]; NJW-RR 08, 1371, 1372 [BGH 18.06.2008 - VIII ZR 154/06]; NJW 12, 844 [BGH 11.01.2012 - XII ZR 40/10]). Dabei genügen Vorstellungen nur einer Seite, die nicht Bestandteil der Regelung geworden sind, nicht. Es kommt auf eine Lücke im gemeinsamen Regelungsprogramm an. Ob diese schon anfänglich vorliegt oder erst nachträglich durch Änderungen der Rechts- oder Tatsachenlage entsteht, ist unbeachtlich (BGH NJW-RR 08, 562 [BGH 24.01.2008 - III ZR 79/07] Tz 14; NJW 05, 1421 [BGH 11.01.2005 - X ZR 163/02] zur Entstehung einer Gesetzeslücke in Folge der Schuldrechtsmodernisierung; NJW 07, 687 [BGH 05.12.2006 - VI ZR 45/05] nachträgl Umsatzsteuerpflicht des Factors wg Einführung des § 13c UStG; Fortfall eines in Bezug genommenen Preisindexes, BGH NJW-RR 09, 880 [BGH 04.03.2009 - XII ZR 141/07]; BAG ZTR 11, 564 [BAG 18.05.2011 - 5 AZR 213/09]).

 

Rn 20

An der Planwidrigkeit der Lücke fehlt es insb, wenn die Parteien bewusst eine abschließende Regelung der Frage getroffen haben. Die Erweiterung der rechtsgeschäftlichen Regelung im Wege ergänzender Vertragsauslegung scheidet dann aus (BGH NJW 85, 1835 [BGH 24.04.1985 - IVb ZR 17/84] zur Wirksamkeit des Verzichts auf nachehelichen Unterhalt). Auch ein bewusstes Offenlassen einer Frage kann, wenn nicht ohnehin ein Fall des § 154 vorliegt, eine planwidrige Lücke zur Folge haben, etwa wenn die Parteien eine Regelung nicht für erforderlich hielten oder sie glaubten, es werde später noch zu einer Einigung kommen (BGH NJW 75, 1116 [BGH 19.03.1975 - VIII ZR 262/73]).

 

Rn 21

Der Streit, ob von einer Lücke auch dann gesprochen werden kann, wenn dem dispositiven Recht eine Regelung zu entnehmen ist (so BGH NJW-RR 07, 687 Tz 25; BGHZ 204, 346; MüKo/Busche Rz 39; Staud/Roth Rz 22; NK-BGB/Looschelders Rz 20; anders aber BGHZ 40, 103; Grüneberg/Ellenberger Rz 4), hat nur terminologische Bedeutung. Denn selbst soweit dies bejaht wird, wird dem dispositiven Recht ein Vorrang zugesprochen, so dass die Füllung der ›Lücke‹ anhand des dispositiven Rechts erfolgt (BGH NZM 08, 462 [BGH 21.02.2008 - III ZR 200/07]; Grüneberg/Ellenberger Rz 4). Das dispositive Recht kommt nur dann nicht zur Anwendung, wenn es entweder seinerseits keine befriedigende Lösung enthält, beispielsweise weil es sich um einen atypischen Vertrag wie etwa Leasing handelt, oder die Lösung des dispositiven Rechts dem Willen der Parteien nicht entspricht (BGHZ 74, 370, 376 = NJW 79, 1819; NJW-RR 90, 818; NJW 93, 3193: Unangemessenheit einer gesellschaftsrechtlichen Abfindungsklausel nach Buchwerten führt nicht automatisch zur Abfindung nach § 738, s § 738 Rn 15; LAG Berl-Brandbg 26 Sa 534/11 Rz 34). Letzteres kann auch darauf beruhen, dass das dispositive Recht in der konkreten Frage veraltet ist.

 

Rn 22

Im Hinblick auf die Voraussetzung der Lückenhaftigkeit der vertraglichen Regelung ist bei beurkundeten Rechtsgeschäften die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des Urkundeninhalts zu beachten. Diese Vermutung kann allerdings durch außerhalb der Urkunde liegende Umstände entkräftet werden (BGH NJW 02, 2311 [BGH 17.04.2002 - VIII ZR 297/01]).

 

Rn 23

Auch wenn eine Lücke infolge der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel entsteht, kann die ergänzende Vertragsauslegung in Betracht kommen, wenn konkrete gesetzliche Regelungen zur Ausfüllung der Lücke nicht zur Verfügung stehen und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen des Klausel-Verwenders und des Kunden Rechnung tragenden Lösung führt (BAG NJW 17, 1628 [BAG 21.02.2017 - 3 AZR 297/15], Witwenrente; BGH NJW 12, 1865 [BGH 14.03.2012 - VIII ZR 113/11], NJW-RR 12, 690 jeweils Preisanpassungsrecht des Energieversorgers; NJW 08, 1820 Krankentagegeldversicherung; NJW 10, 1742, BB 11, 977 unwirksame Zinsänderungsklausel; BGHZ 90, 69, 74 = NJW 84, 1177 [Tagespreisklausel]; BGHZ 137, 153 = NJW 98, 450 [Globalbürgschaften]; NJW 02, 3099, Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern). Bei der Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln wird eine ergänzende Vertragsauslegung abgelehnt, wenn sich die eine Seite innerhalb absehbarer Zeit vom Vertrag lösen kann (BGH NJW-RR 10, 1202 [BGH 13.01.2010 - VIII ZR 81/08]).

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