Entscheidungsstichwort (Thema)

unwirksame Preisänderungsklausel in Erdgaslieferungsvertrag. Beanstandungsfrist von 3 Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

Eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

 

Normenkette

BGB § 157D Ga

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 16.03.2011; Aktenzeichen 10 S 66/10)

AG Wipperfürth (Entscheidung vom 12.01.2010; Aktenzeichen 1 C 251/09)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Köln vom 16.3.2011 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem regionalen Gasversorgungsunternehmen, welches den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas versorgte, die Rückzahlung eines Betrages i.H.v. 2.621,54 EUR nebst Zinsen und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren aufgrund unwirksamer Gaspreisanpassungen im Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 30.9.2008. Die Parteien schlossen am 7. April/1.6.1981 rückwirkend zum 1.1.1981 einen vorformulierten Erdgasliefervertrag (Gasversorgungs-Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 4,2 Pf/kWh netto vereinbart, als Grundpreis 36,40 DM/Monat netto. § 2 des Vertrages sieht vor, dass sich der Gaspreis ändert, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarife der Beklagten eintritt.

Rz. 2

Nach § 5 Ziff. 1 kann der Vertrag erstmals nach Ablauf von 24 Monaten und danach jeweils mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Abrechnungsjahres schriftlich gekündigt werden.

Rz. 3

Die Beklagte änderte aufgrund der Preisanpassungsklausel wiederholt ihre Preise. Der Kläger widersprach den Preisänderungen nicht. Zum 1.10.2008 kündigte er den Vertrag und wechselte zu einem anderen Anbieter. Mit Schreiben vom 21.2.2009 beanstandete der Kläger die Preiserhöhungen der Beklagten und forderte die gezahlten Erhöhungsbeträge zurück.

Rz. 4

Er hat, ausgehend von dem ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis i.H.v. 2,15 ct/kWh (4,2 Pf/kWh), den Rückforderungsanspruch mit 2.621,54 EUR beziffert. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur Rückzahlung von 1.861,72 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision hat Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 7

Dem Kläger stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.9.2009 habe der Kläger für die Gaslieferungen der Beklagten lediglich einen Grundpreis von 223,33 EUR und einen Arbeitspreis von 2,15 ct/kWh zu entrichten gehabt.

Rz. 8

Das vertragliche Preisänderungsrecht in § 2 des Sondervertrages sei - was die Beklagte nicht in Abrede stelle - gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Klausel hinsichtlich des Umfangs der Preisänderung nicht klar und verständlich sei und die Kunden deswegen unangemessen benachteilige. Ein einseitiges Preisanpassungsrecht der Beklagten ergebe sich auch nicht aus einem Rückgriff auf die AVBGasV bzw. die GasGVV, denn § 2 des Vertrages enthalte eine ausdrückliche und abschließende Vereinbarung über die Preisanpassung.

Rz. 9

Ein Anspruch der Beklagten auf das erhöhte Entgelt folge auch nicht aus einer konkludenten vertraglichen Änderung des Gaspreises. Bei einer einseitigen Erhöhung von Gaspreisen des Gasversorgers gegenüber Sonderkunden werde der Gaspreis auch dann nicht zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde auf die ihm individuell bekannt gegebene Preiserhöhung weiterhin widerspruchslos Gas beziehe. Beide Parteien handelten insoweit in dem Bewusstsein, die Erhöhungen des Arbeitspreises seien von dem vertraglichen Preisanpassungsrecht gedeckt, so dass dem Verhalten des Klägers nicht entnommen werden könne, er würde die Änderungen auch bei einer Unwirksamkeit des vertraglichen Preisänderungsrechts akzeptieren.

Rz. 10

Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung ergebe sich auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB. Eine solche komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies könne hier nicht festgestellt werden.

Rz. 11

Der Vertrag sei auch nicht nach § 306 Abs. 3 BGB unwirksam. Denn ebenso wenig wie eine einseitige Vertragsverschiebung könne eine unzumutbare Härte für die Beklagte durch das Festhalten an dem Vertrag festgestellt werden.

Rz. 12

Dem Rückzahlungsanspruch stehe auch nicht der Einwand der Verwirkung oder ein sonstiger Verstoß gegen Treu und Glauben entgegen. Insoweit fehle es bereits am erforderlichen Zeitmoment, denn hierfür sei auf den Zeitpunkt der Kenntnis von der Unwirksamkeit des vertraglich vereinbarten Preisänderungsrechts abzustellen.

Rz. 13

Unter Zugrundelegung der Verbrauchszahlen ergebe sich - entgegen der Berechnung des Klägers - indes nur ein Rückforderungsanspruch i.H.v. 1.861,72 EUR.

II.

Rz. 14

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Recht geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge zusteht. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Rückforderungsanspruchs rechtsfehlerhaft den im Jahre 1981 vereinbarten Ausgangspreis von 4,2 Pf/kWh (2,15 ct/kWh) zugrunde gelegt.

Rz. 15

1. Das Berufungsgericht ist im Anschluss an das Senatsurteil vom 17.12.2008 (VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186 ff.) zutreffend vom Vorliegen eines (Norm-)Sonderkundenvertrages und von der Unwirksamkeit des in diesem Vertrag vorgesehenen Preisänderungsrechts der Beklagten ausgegangen. Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Revision nicht.

Rz. 16

2. Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass weder in der Zahlung der Abrechnungen noch in dem Weiterbezug von Gas nach Ankündigung der Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung des Klägers zur Erhöhung der Gaspreise liegt.

Rz. 17

Eine Vertragsänderung bedarf entsprechender übereinstimmender Willenserklärungen der vertragsschließenden Parteien. Hier fehlt es schon an einem entsprechenden Vertragsangebot der Beklagten. Aus der maßgeblichen Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die einseitig erhöhte Preise ausweist, nicht der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Gaslieferungsvertrages hinsichtlich des vereinbarten Preises herbeizuführen (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rz. 57 m.w.N.).

Rz. 18

Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich diese Beurteilung nicht dadurch, dass die Beklagte die Änderungen ihrer Preise nicht nur öffentlich bekannt gab, sondern allen Kunden - und damit auch dem Kläger - in individuellen Schreiben ankündigte. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat sie Preiserhöhungen dem Kläger lediglich bekannt gemacht. Dass hierin ein - von dem Kläger auch ablehnbares - Angebot zur einvernehmlichen Vertragsanpassung liegen kann, ist für einen objektiven Empfänger (§§ 133, 157 BGB) nicht ersichtlich. Aus der Sicht des Kunden stellte sich die Mitteilung der Beklagten vielmehr als Ausübung des vertraglich geregelten einseitigen Preisbestimmungsrechts dar und nicht als Angebot, den Preis einvernehmlich zu ändern.

Rz. 19

3. Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten Erhöhungsbeträge. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, für den genannten Zeitraum nur den ursprünglich vereinbarten Anfangspreis mit Rechtsgrund geleistet zu haben.

Rz. 20

Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisänderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwarten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in angemessener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 74, und VIII ZR 106/83, juris Rz. 27).

Rz. 21

Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kläger die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Rz. 22

a) Zwar hat der Senat in Fällen, in denen auf Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Preiserhöhungen gerichtete Klagen von (Norm-)Sonder-kunden Erfolg hatten, die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung mit dem Ziel der Ersetzung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel durch eine wirksame Klausel als nicht erfüllt angesehen (vgl. BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 295/09, NJW 2011, 1342 Rz. 38 f.; v. 13.1.2010 - VIII ZR 81/08, NJW-RR 2010, 1202 Rz. 27; jeweils m.w.N.). Diese Fälle waren aber dadurch gekennzeichnet, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen.

Rz. 23

Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche - Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (BGH, Urt. v. 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, a.a.O., Rz. 52). Das ist zu bejahen. In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen. Denn bevor der Kunde Widerspruch erhob oder Zahlungen nur noch unter Vorbehalt leistete, hatte das Energieversorgungsunternehmen keinen Anlass, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen und dementsprechend das Versorgungsverhältnis zu kündigen.

Rz. 24

b) Die ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen (BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, a.a.O., S. 78, und VIII ZR 106/83, a.a.O., Rz. 33). Bereits deshalb kommt es nicht in Betracht, an die Stelle der unwirksamen, weil den Vertragspartner des Klauselverwenders i.S.d. § 307 BGB unangemessen benachteiligenden Preisänderungsklausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen. Auch widerspräche dies im Ergebnis dem in der Rechtsprechung des BGH seit langem anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen (vgl. BGH, Urt. v. 3.11.1999 - VIII ZR 269/98, BGHZ 143, 103, 118 f. m.w.N.). Es geht vielmehr darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, a.a.O., S. 75; v. 12.7.1989 - VIII ZR 297/88, NJW 1990, 115 unter III 1c).

Rz. 25

c) Nach Ansicht des Senats ist ein in diesem Sinne angemessener Interessenausgleich dadurch zu erzielen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.

Rz. 26

aa) Bei langfristigen Vertragsverhältnissen, insb. solchen, die auf Leistungsaustausch gerichtet sind, besteht ein anerkennenswertes Bedürfnis, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 106/83, a.a.O., Rz. 32; v. 16.1.1985 - VIII ZR 153/83, BGHZ 93, 252, 258). Diesem Bedürfnis liefe es zuwider, wenn bei einem Energielieferungsvertrag mit langer Laufzeit die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen rückwirkend ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden könnte. Denn dies hätte zur Folge, dass der Energieversorger ohne Rücksicht auf Schwankungen seiner eigenen Bezugspreise für die gesamte Vertragslaufzeit nur den ursprünglich vereinbarten Preis beanspruchen könnte. Angesichts der Entwicklung der Energiepreise entstünde dadurch bei langfristigen Versorgungsverträgen regelmäßig ein gravierendes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. Dies wäre unbillig und würde dem Kunden einen unverhofften und ungerechtfertigten Gewinn verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, a.a.O., S. 77 f., und VIII ZR 106/83, a.a.O.; v. 12.7.1989 - VIII ZR 297/88, a.a.O., unter II 2b, III 1b). Dies entspräche auch nicht dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen.

Rz. 27

bb) Bei der Beurteilung, welche Regelung als angemessener Interessenausgleich anzusehen ist, darf auch der mit dem Energiewirtschaftsrecht verfolgte Zweck einer möglichst sicheren und preisgünstigen Energieversorgung (§ 1 EnwG) nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 2.10.1991 - VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183 unter III 2a; Büdenbender, EnWG, 2003, § 1 Rz. 56). Zwar wurde er erstmals durch das Energiewirtschaftsgesetz vom 24.4.1998 (BGBl. I, 730) in den Gesetzestext selbst aufgenommen. Er war jedoch auch schon in der Präambel des davor geltenden Energiewirtschaftsgesetzes (in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 752-1, veröffentlichten bereinigten Fassung) enthalten und konnte bereits damals für die Auslegung des Energierechts herangezogen werden (Büdenbender, a.a.O., Rz. 4; Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrolle, 2003, S. 9 f.; Germer/Loibl/Dorß, Energierecht, 2. Aufl., S. 69).

Rz. 28

Das Ziel der Preisgünstigkeit ist nicht nur auf die möglichst billige Energieversorgung der Endkunden ausgerichtet. Zu berücksichtigen sind zugleich die insb. durch die Kostenstruktur geprägte individuelle Leistungsfähigkeit der Versorgungsunternehmen sowie die Notwendigkeit, die Investitionskraft und die Investitionsbereitschaft zu erhalten und angemessene Erträge zu erwirtschaften (Danner/Theobald, Energierecht, Stand 2011, § 1 EnWG Rz. 19; Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 1 Rz. 28; vgl. Braband, a.a.O., S. 30). Insofern wurde im Recht der Energielieferung stets vorausgesetzt, dass die Möglichkeit des Versorgers besteht, Änderungen der Bezugspreise weiterzugeben, ohne den mit dem Kunden bestehenden Versorgungsvertrag kündigen zu müssen (vgl. BR-Drucks. 77/79, 34 [für die AVBGasV]; BGH, Urt. v. 15.7.2009 - VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41 Rz. 24, und VIII ZR 225/07, BGHZ 182, 59 Rz. 22; v. 24.3.2010 - VIII ZR 178/08, BGHZ 185, 96 Rz. 27, und VIII ZR 304/08, NJW 2010, 2793 Rz. 34).

Rz. 29

Dass das Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit hat, Kostensteigerungen weiterzugeben, dient daneben auch dem Zweck der Versorgungssicherheit (vgl. Danner/Theobald, a.a.O., Rz. 7 und 26). Denn diese betrifft nicht nur die technische Sicherheit der Energieversorgung und die Sicherstellung einer mengenmäßig stets ausreichenden Versorgung der Abnehmer (BR-Drucks. 806/96, 28; Braband, a.a.O., S. 29). Sie hat vielmehr insoweit auch einen ökonomischen Aspekt, als die nötigen Finanzmittel für die Unterhaltung von Reservekapazitäten, für Wartungsarbeiten, Reparaturen, Erneuerungs- und Ersatzinvestitionen bereit stehen müssen (Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., Rz. 26; Salje, EnWG, 2006, § 1 Rz. 27). Das wiederum setzt voraus, dass diese Mittel durch auskömmliche Versorgungsentgelte erwirtschaftet werden können.

Rz. 30

cc) Die Rückforderung bereits gezahlter Entgelte durch den Kunden berührt die genannten Zielsetzungen des Energiewirtschaftsrechts, da hierdurch dem Versorger im Nachhinein die Möglichkeit genommen wird, Kostensteigerungen an den Kunden weiterzugeben, ohne dass er sich einer möglichen Unterdeckung durch eine Kündigung des Sonderkundenvertrages entziehen kann, zu der er bei einem zeitnahen Widerspruch des Kunden Anlass gehabt hätte. Die Parteien hätten daher, wenn sie erkannt hätten, dass die Wirksamkeit der vereinbarten Preisanpassungsklausel unsicher war, jedenfalls eine Regelung vereinbart, nach der es ausgeschlossen ist, nach einem längeren Zeitraum die Unwirksamkeit von Preisanpassungen geltend zu machen, die zuvor nicht in Frage gestellt worden sind.

Rz. 31

dd) Die Bestimmung einer Frist, innerhalb derer der Kunde die Preiserhöhung beanstanden muss, um sich auf ihre Unwirksamkeit berufen zu können, trägt den Interessen beider Parteien Rechnung. Ein Gasliefervertrag ist ein Dauerschuldverhältnis, bei dem ein besonderes Bedürfnis danach besteht, dass gegenseitige Ansprüche zeitnah geltend gemacht werden und sich nicht durch verspätete Geltendmachung aufsummieren (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.1989 - VIII ZR 12/88, WM 1989, 1023 unter B II 5a bb; vgl. für die Energieversorger die Abrechnungsfrist in § 40 Abs. 2 EnWG). Zudem handelt es sich um ein Schuldverhältnis mit einer Vielzahl von Kunden und damit auch einer Vielzahl von Abrechnungsvorgängen, die Jahr für Jahr aufeinander aufbauen. Die in diesen Jahresabrechnungen enthaltenen Preiserhöhungen dürfen daher nicht unvertretbar lange mit Unsicherheiten behaftet sein. Es ist vielmehr erforderlich, dass die sich für beide Seiten stellende Frage, ob eine bestimmte Preiserhöhung Bestand hat oder nicht, ohne größere praktische Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Damit wird dem Versorger eine verlässliche Basis für seine (Kosten-)Kalkulationen geschaffen, während der Verbraucher weiß, mit welchen Kosten er zu rechnen hat, um hiernach sein Verbrauchsverhalten und ggf. auch die Wahl des Energieversorgers auszurichten.

Rz. 32

ee) Ein Interessenausgleich, der die Geltendmachung von Rechten von der Reaktion einer Partei innerhalb gewisser Fristen abhängig macht, ist im Energierecht auch sonst verschiedentlich vorgesehen, so dass es nahe liegt, sich an diesen Vorbildern auch für die hier im Wege ergänzender Vertragsauslegung vorzunehmende Lückenschließung zu orientieren. Das gilt namentlich für die - zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Tarifkundenbereich geltende - AVBGasV, die in besonderer Weise darauf abzielt, den mit der Leitungsgebundenheit zusammenhängenden wirtschaftlich-technischen und rechtlichen Besonderheiten der Gasversorgung sowie dem energiepolitischen Ziel einer möglichst kostengünstigen Gasversorgung Rechnung zu tragen (vgl. BR-Drucks. 77/79, 34).

Rz. 33

So ist etwa in § 21 AVBGasV geregelt, dass Ansprüche wegen Fehlern bei der Ermittlung des Rechnungsbetrages auf einen Zeitraum von längstens zwei Jahren beschränkt sind. Zur Begründung dafür führte der Verordnungsgeber an: Es gelte zu vermeiden, dass der Kunde größeren Nachforderungen ausgesetzt werde, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Es empfehle sich daher, eine zeitliche Begrenzung festzulegen. Dabei sei zwar zu berücksichtigen, dass dem Gasversorgungsunternehmen Einnahmen entgehen könnten. Unter Abwägung dieser Umstände erscheine es aber gerechtfertigt, an einer für beide Seiten gleichen Ausschlussfrist von zwei Jahren festzuhalten. Beide Seiten müssten es in Kauf nehmen, dass ihnen im Einzelfall unter Umständen weitergehende Ansprüche auf Rückerstattung beziehungsweise Nachzahlung abgeschnitten würden (BR-Drucks. 77/79, 58). An dieser Zielsetzung hat die GasGVV in ihrem § 18, der die Anspruchsbeschränkung gegenüber § 21 AVBGasV von zwei auf drei Jahre erweitert, im Wesentlichen festgehalten, wobei der Verordnungsgeber auch hier darauf hingewiesen hat, dass diese Bestimmung im Interesse einer reibungslosen Durchführung des Vertragsverhältnisses und des Rechtsfriedens eine zeitliche Beschränkung der Ansprüche enthalte (BR-Drucks. 306/06, 39).

Rz. 34

In § 30 AVBGasV findet sich eine weitere zeitliche Begrenzung. Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und der Zahlungsaufschub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird. Zur Begründung heißt es: Um die Abwicklung des Versorgungsverhältnisses nicht auf lange Zeit mit Rechtsunsicherheiten zu belasten, sei es zweckmäßig, das Recht auf Zahlungsaufschub und -verweigerung auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Berechnung zu begrenzen (BR-Drucks. 77/79, 64). Das bedeute nicht, dass der Kunde das Recht verliere, die mangelnde Berechtigung solcher Forderungen auch noch nach Ablauf von zwei Jahren geltend zu machen. Er solle dann allerdings spätere Zahlungen nicht mehr mit der Begründung verweigern können, frühere Forderungen ohne Rechtsgrund beglichen zu haben (BR-Drucks. 77/79, a.a.O.).

Rz. 35

e) Einer derartigen ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht entgegen, dass theoretisch unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der durch die Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel entstandenen vertraglichen Regelungslücke in Betracht gekommen wären (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, a.a.O., S. 80 f.; v. 12.7.1989 - VIII ZR 297/88, a.a.O., unter III 1c m.w.N.; BGH, Urt. v. 12.10.2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 317 m.w.N.; v. 6.11.2009 - V ZR 63/09, NVwZ 2010, 531 Rz. 43). Die vorstehend aus einer objektiv-generalisierenden Abwägung der gegenseitigen Interessen und den Erfordernissen einer funktionierenden Energiewirtschaft entwickelte, die Rechtsfolgen einer unwirksamen Preisanpassungsklausel begrenzende Regelung stellt, was entscheidend ist, eine für beide Seiten zumutbare Lösung dar. Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt im Übrigen nicht voraus, dass sich für jede Einzelheit der "technischen" Ausgestaltung der Vertragsergänzung konkrete Anhaltspunkte im Willen oder in den Erklärungen der Vertragsparteien nachweisen lassen (BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, a.a.O., S. 81).

Rz. 36

4. In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall folgendes:

Rz. 37

Der Kläger kann der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht den im Jahre 1981 vereinbarten Ausgangspreis von 2,15 ct/kWh zugrunde legen und somit die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbeginn geltend machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger erstmals mit Schreiben vom 21.2.2009 und damit nach Beendigung des Vertrages den Preiserhöhungen widersprochen. Während der gesamten Vertragslaufzeit über einen Zeitraum von 27 Jahren hat der Kläger die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen ohne Beanstandungen hingenommen und damit der Beklagten keine Veranlassung gegeben, eine Beendigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses - etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das Grundversorgungsverhältnis (vgl. dazu BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 295/09, a.a.O.; Senatsbeschluss v. 7.6.2011 - VIII ZR 333/10, juris, Rz. 8; jew. m.w.N.) - in Erwägung zu ziehen. Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.

Rz. 38

Welchen Arbeitspreis der Kläger seinem Rückforderungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Kläger die einzelnen Jahresabrechnungen der Beklagten zugegangen sind und gegen welche darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Klägers vom 21.2.2009 somit noch rechtzeitig erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

III.

Rz. 39

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2961860

BGHZ 2012, 372

BB 2012, 1230

BB 2012, 1501

DB 2012, 2807

NJW 2012, 1865

NJW 2012, 8

DWW 2012, 278

EBE/BGH 2012

NZM 2012, 432

WM 2012, 2065

ZAP 2012, 681

ZIP 2012, 1718

ZMR 2012, 521

GewArch 2012, 335

MDR 2012, 8

RdE 2012, 195

RdW 2012, 303

ZNER 2012, 262

IR 2012, 150

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