Rn 19

Da den Parteien eine partielle Verwirklichung ihrer ursprünglichen Vorstellungen nicht aufgedrängt werden soll, sieht die Auslegungsregel des § 139 (Rn 1) als Folge einer Teilnichtigkeit grds eine Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts vor. Das Restgeschäft bleibt wirksam, wenn es ausnahmsweise ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Besaßen die Parteien beim Vertragsschluss Kenntnis von der Nichtigkeit einer vertraglichen Regelung, fehlt ihnen insoweit der Rechtsbindungswille. Eine Teilnichtigkeit iSd § 139 liegt nicht vor. Nach Ausscheiden des unwirksamen Teils gilt das restliche Rechtsgeschäft, sofern es mit diesem Inhalt von den Parteien gewollt war (BGHZ 45, 379 f; NJW 99, 351; dazu Keim NJW 99, 2866).

 

Rn 20

Vorrangig hängen die Rechtsfolgen vom realen Willen der Parteien ab, etwa in einer salvatorischen Klausel (Rn 4). Zumeist ist aber auf den hypothetischen Willen zurückzugreifen, der nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 133 Rn 25) zu ermitteln ist. Abzustellen ist darauf, welche Entscheidung die Parteien im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben sowie bei vernünftiger Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen hätten (BGH NJW 86, 2577 [BGH 13.03.1986 - III ZR 114/84]; 96, 2088 [BGH 25.04.1996 - IX ZR 177/95]).

 

Rn 21

Maßstab ist nicht das objektiv Vernünftige, sondern zu welchen Entscheidungen die Parteien gelangt wären (AnwK/Faust Rz 45; Medicus/Petersen AT Rz 508; aA BGH NJW 06, 2696 [BGH 14.06.2006 - VIII ZR 257/04] Tz 21; Staud/Roth Rz 75). Bedeutungslos bleibt, ob die Parteien in jedem Fall irgendein Rechtsgeschäft geschlossen hätten, denn es ist entscheidend, ob von ihnen ein Rechtsgeschäft gleichen Inhalts ohne die nichtigen Teile vereinbart worden wäre (BGHZ 28, 84). Zur Ermittlung dieses beidseitigen (RGZ 99, 55) Parteiwillens sind alle in Betracht kommenden Umstände heranzuziehen, auch die außerhalb des Vertragstextes begründeten (BGH NJW 86, 2577 [BGH 13.03.1986 - III ZR 114/84]). Eine Staffelmietvereinbarung, in der die Erhöhung für die ersten zehn Jahre in einem Geldbetrag und für den anschließenden Zeitraum in einem Prozentbetrag ausgewiesen wird, ist für die ersten zehn Jahre wirksam (BGH NJW 12, 1502 [BGH 15.02.2012 - VIII ZR 197/11] Tz 15; s.a. NJW-RR 09, 306 [BGH 17.12.2008 - VIII ZR 23/08] Tz 12). Ein Wohnungseigentumsbeschluss ist unwirksam, wenn der unbeanstandet gebliebene Teil allein sinnvollerweise keinen Bestand haben kann (BGH NJW 12, 2648 [BGH 11.05.2012 - V ZR 193/11] Tz 13). Bei einer Grundstücksübertragung kann ein unwirksames Verfügungsverbot durch eine wirksame Regelung zu ersetzen sein (BGH NJW 12, 3162 [BGH 06.07.2012 - V ZR 122/11] Tz 33 ff). Lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für den hypothetischen Parteiwillen feststellen, bleibt es bei der Gesamtnichtigkeit.

 

Rn 22

Eine Gesamtnichtigkeit kann von jedermann geltend gemacht werden. Im Prozess ist sie vAw zu berücksichtigen (Erman/Arnold Rz 24). Ein Verstoß gegen in Vollzug gesetzte gesellschafts- und arbeitsrechtliche Regelungen führt nur zur Unwirksamkeit ex nunc (BaRoth/Wendtland Rz 18; s.a. Rn 3). Verfassungsrechtliche Wertungen können eine Gesamtnichtigkeit ausschließen, etwa wenn nichtige Nebenabreden den Entgeltanspruch infrage stellen (BVerfG NJW 02, 3315 [BVerfG 04.04.2002 - 1 BvR 724/98]).

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