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Art 103 I GG garantiert jedermann vor Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör (ebenso Art 47 GRCh, § 37 II FamFG). Dieses auch als prozessuales Urrecht bezeichnete zentrale Prozessgrundrecht wird tw sogar auf den Grundsatz der Menschenwürde zurückgeführt. Das Grundrecht verbietet es, den Menschen vor Gericht als bloßes Objekt zu betrachten und zu behandeln. Sein Inhalt lässt sich in folgender Weise konkretisieren: der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt zunächst den Parteien ein Recht auf Orientierung (also Benachrichtigung vom Verfahren, Mitteilung von Äußerungen anderer Beteiligter, Recht auf Akteneinsicht), weiterhin das Recht der Beteiligten auf Äußerung und schließlich und va die Verpflichtung des Gerichts, das Parteivorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 9, 231; 9, 261; 51, 126, 129; 70, 215, 218; 86, 133, 146; 107, 395; BVerfG NJW 98, 2044; NJW 05, 1487; NJW 09, 1584 und 1585; FamRZ 15, 2042; NJW 17, 3218; NJW 19, 1433 u 2919). Zu den Einzelheiten bei Verletzung rechtlichen Gehörs vgl § 321a. Das rechtliche Gehör umfasst ausdr auch die Möglichkeit der Akteneinsicht (BVerfG NJW 10, 2118) sowie das Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung nach einem Antrag gem § 495a S 2 (BVerfG NJW 12, 2262; NJW 15, 3779; NJW 19, 2919), ferner das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (BVerfG MDR 13, 1113) sowie das Recht, einen gerichtlichen Sachverständigen mündlich zu befragen (BVerfG FamRZ 15, 2042; BGH NJW-RR 17, 762). Entscheidet ein Gericht den Rechtsstreit unter Missachtung einer beantragten Terminverlegung mit bestehendem Verlegungsgrund, so verstößt dies gegen Art 103 I GG (BVerfG NJW 21, 3384). Zum rechtlichen Gehör nach einer komplexen Beweisaufnahme vgl BGH NJW 11, 3040; zur Erläuterung eines Sachverständigengutachtens vgl BVerfG NJW 12, 1346; zum Verstoß gegen §§ 279 III, 285 I vgl BGH NJW 12, 2354. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs eröffnet bei Wahrung eigener Sorgfaltspflichten und Einlegung aller möglichen Rechtsbehelfe (Subsidiaritätsgrundsatz, vgl BGH NJW-RR 16, 699) einschl der Anhörungsrüge (§ 321a) die Verfassungsbeschwerde. Eine typische Ausprägung des rechtlichen Gehörs ist die richterliche Hinweispflicht gem § 139 (BVerfG NJW 17, 3218; 21, 2581).

Die Zahl der unter Berufung auf Art 103 I GG erfolgreich angefochtenen Gerichtsentscheidungen ist bis in jüngster Zeit erstaunlich hoch.

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