Rn 16

Der Pfändungsumfang muss vom Vollstreckungsgericht nach sozialrechtlichen Maßstäben individuell berechnet werden (BGH NJW 08, 227 [BGH 31.10.2007 - XII ZR 112/05] Rz 30). Der vollstreckungsrechtlich notwendige Unterhalt darf dabei nicht mit dem unterhaltsrechtlich notwendigen Selbstbehalt gleichgesetzt werden, der zwar ebenfalls an den sozialrechtlichen Größen ausgerichtet ist, diese aber leicht übersteigt. Sonst wäre in Mängelfällen eine Vollstreckung von Unterhaltsrückständen ausgeschlossen (BGHZ 156, 30, 35). Der frühere Lebensstandard des Schuldners ist für diese Bemessung unerheblich (aA in gewissem Umfang MüKoZPO/Smid § 850d Rz 22). Dem Schuldner ist bei der erweiterten Pfändung regelmäßig so viel zu belassen, wie ihm als notwendiger Lebensunterhalt zu gewähren wäre (BGHZ 156, 30, 34, noch zum BSHG). Bezugspunkt dafür ist jetzt das Bürgergeld.

 

Rn 17

Bei der Unterhaltsbemessung ist zu differenzieren. Um die Umstände des Einzelfalls angemessen zu berücksichtigen, sind die vollstreckungsrechtlichen Maßstäbe entspr den sozialrechtlichen Referenzbestimmungen aus den §§ 20 ff SGB II bzw den §§ 27 ff SGB XII zu interpretieren. Wegen des Nachrangs der Sozialhilfe, § 2 SGB XII, sind die Regelungen der Sozialhilfe auf die nicht erwerbsfähigen Personen anzuwenden. Dementsprechend ist der notwendige Unterhalt des nicht erwerbsfähigen Schuldners am SGB XII auszurichten. Für den erwerbsfähigen Schuldner ist dagegen auf die im SGB II angelegten Beträge der Grundsicherung für Arbeitsuchende abzustellen (LG Aschaffenburg FamRZ 07, 1664, 1665; Zimmermann/Freeman ZVI 08, 374, 375 ff; Neugebauer MDR 05, 911, 912; aA allein SGB XII BGHZ 162, 234, 245 f; Zö/Herget § 850d Rz 7; ThoPu/Seiler § 850d Rz 10).

 

Rn 18

Die höchstrichterliche Rspr weicht davon ab und wendet das SGB XII an, wie es unter Rn 28 dargestellt ist. In der Entscheidung des BGH v 23.2.05 (BGHZ 162, 234, 245f) hat das Gericht in einem obiter dictum allein auf das SGB XII abgestellt. Entscheidungsgegenstand war die Obliegenheit des Schuldners von Kindesunterhalt, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dabei hat der BGH die frühere Orientierung des notwendigen Lebensbedarfs an den Abschnitten 2 und 4 des BSHG mit dem SGB XII Kapitel 3 und 11 übersetzt. Eine Stellungnahme zum SGB II oder gar eine Abgrenzung zwischen dem SGB II und dem SGB XII ist damit weder verbunden noch sachlich erfolgt und war wohl auch nicht angezeigt. In der Folge bestätigt der BGH diese Rspr, ohne zu erklären, warum der Begriff des notwendigen Unterhalts anders als in § 850f I ausgelegt werden soll (BGH NJW-RR 08, 733f). Mit einer Entscheidung vom 25.11.10 (WM 11, 76) bestätigt das Gericht diese Judikatur und überträgt sie auf den Begriff des notwendigen Unterhalts nach § 850f II. Offengelassen hat der BGH, ob im Einzelfall auf die Vorschriften des SGB II zurückgegriffen werden kann (BGH WM 11, 76 Rz 9; außerdem ZInsO 18, 2015 Rz 9). Soweit auf den Regelsatz abzustellen ist, besteht allerdings kein Unterschied zur hier vertretenen Ansicht, da der nach den §§ 28, 40 SGB XII festgesetzte Regelsatz dem des § 20 II 1, IV SGB II entspricht.

 

Rn 19

Die Unterscheidung ist sowohl aus funktionellen Erwägungen erforderlich als auch, um die Kohärenz zwischen den vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen und zu den sozialhilferechtlichen Regeln zu wahren. Der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850d stimmt mit dem aus den §§ 850i, 850h sowie dem notwendigen Lebensunterhalt aus § 850f I überein. Der Schuldner muss auch nach § 850d das in § 850f I bestimmte Mindestmaß dessen behalten, was er zur Sicherung seines Lebensunterhalts benötigt. § 850f I lit a) verweist aber für die Gewährleistung des notwendigen Unterhalts nicht nur auf das 3. und 11. Kapitel des SGB XII, sondern ausdrücklich auch auf das Kapitel 3 Abschnitt 2 des SGB II, also auf die §§ 19–35 SGB II.

 

Rn 20

Für die innere Konkordanz der Regelungen ist diese Ausdifferenzierung schon deswegen zu beachten, weil nach § 20 III SGB II bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 V SGB II umziehen, der Satz bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres auf die Regelbedarfsstufe 3 von derzeit EUR 420,– beschränkt ist, während sie nach § 28 SGB XII EUR 502,– beanspruchen können. Außerdem werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrags über die Unterkunft zugesichert hat.

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