Rn 6

Gemäß Abs 3 kann der Verzicht in den Fällen von Abs 1 und Abs 2 vor der Verkündung des Urteils erfolgen. Frühestmöglicher Zeitpunkt soll nach tw vertretener Auffassung die mündliche Verhandlung sein, nach deren Schluss das Urt ergeht (Zö/Feskorn Rz 6), da er sich auf ein bestimmtes Urt beziehen müsse und nicht abstrakt bleiben dürfe. Dies ist zweifelhaft, denn jeder Verzicht vor dem Urt ist ›abstrakt‹; ob der Verhandlungstermin ein Schlusstermin ist, bestimmen nicht die Parteien (§ 136 IV), sodass bei Abgabe der Erklärung im Termin Unsicherheit bliebe. Zudem kann ein ›abstrakter‹ Rechtsmittelverzicht prozessvertraglichen Abreden entsprechen; daher ist Abs 3 wörtlich zu nehmen.

Der späteste Zeitpunkt für Verzichtserklärungen nach der mündlichen Verhandlung ist nach der Wochenfrist des Abs 3 S 2 zu berechnen. Im schriftlichen Verfahren gilt § 128 II 2 (§ 128 Rn 25). Diese enge Frist läuft unabhängig davon, ob ein Stuhlurteil (§ 310 I) erfolgt ist oder nicht. Sie soll dem Gericht wegen der Pflicht zur vollständigen Abfassung des Urteils vor Verkündung (§ 310 II) zügig Klarheit über die Anforderungen an das Urt verschaffen. Maßgeblich für die Berechnung ist § 222 mit Verweis auf §§ 187 I, 188 II BGB. Wie bei allen Prozesserklärungen entscheidet Eingang bei Gericht. Eine verspätete Verzichtserklärung ist nicht unwirksam, sondern darf vom Gericht noch berücksichtigt werden (LAG Köln NZA 06, 878, LS; St/J/Althammer Rz 12; Musielak/Musielak Rz 5; Zö/Feskorn Rz 6; aA Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 16). Eine Verpflichtung darauf besteht aber selbst dann nicht, wenn das Urt noch nicht abgefasst war, denn auch generell steht das Absehen von Tatbeständen und Gründen im Ermessen des Gerichts. Erfolgt der Verzicht auf Begründung (Abs 1 S 2) oder Rechtsmittel (Abs 2) erst nach Verkündung des Urteils, das jedoch kein Stuhlurteil war bzw nicht nach dem Schluss der Sitzung erging, so kommt das Absehen von Tatbestand und Entscheidungsgründen aber wegen § 310 II nur in Betracht, wenn die Abfassung des vollständigen Urteils unterblieben war und Heilung durch Nachholung möglich wäre (vgl dort Rn 6 und § 315 II).

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