Rn 2

Hat die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht stattgefunden, schließt sich die Verhandlung über das Beweisergebnis unmittelbar an (§ 279 III). Der Beweistermin ist deshalb gleichzeitig Verhandlungstermin (§ 370 I). Das Gericht ist allerdings grds nicht verpflichtet, den Parteien im Rahmen dieser Verhandlung seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen (BGH NJW 16, 3100, 3103 [BGH 15.04.2016 - V ZR 42/15] Rz 33 m Anm Tolani; BGH MDR 18, 1209 [BGH 27.03.2018 - X ZB 11/17] Rz 5; s dazu auch Greger MDR 16, 1057 ff). Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine entsprechende Mitteilung zur Vermeidung einer nach Art 103 GG unzulässigen Überraschungsentscheidung erforderlich ist. Der Anspruch der Parteien auf sachgerechte Gewährung des rechtlichen Gehörs kann es im Einzelfall auch gebieten, den Parteien durch die Einräumung eines Schriftsatznachlasses Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zum Beweisergebnis oder zu einem rechtlichen Hinweis einzuräumen. Ein entsprechender Antrag der betreffenden Partei ist dazu nicht einmal erforderlich (BGH NJW-RR 20, 574 Rz 9; Hamm MDR 22, 1215, 1216 [OLG Hamm 11.04.2022 - 7 U 9/22]). Dies ist etwa notwendig bei einem mündlich erstatteten Gutachten im Arzthaftungsprozess über schwierige medizinische Fragen, um einer medizinisch nicht sachkundigen Partei die Möglichkeit zu geben, sich anderweitig sachverständig beraten zu lassen (BGH NJW 88, 2802 f [BGH 19.04.1988 - VI ZR 96/87]; MDR 18, 1014 = Bespr Schwenker MDR 18, 1425; anders aber, wenn das schriftliche Gutachten rechtzeitig vor dem Beweistermin vorlag und die mündliche Erläuterung keine neuen Aspekte hat zutage treten lassen, BGH NJW 91, 1547, 1548). Darüber hinaus gilt dies immer dann, wenn von einer Partei nach einer Beweisaufnahme oder einem gerichtlichen Hinweis eine umfassende sofortige Stellungnahme nicht erwartet werden kann (BVerfGE 64, 203, 206 = NJW 83, 2492; BGHZ 219, 77, 85 Rz 26, 28 = MDR 18, 1141, 1142; BGH NJW 18, 3316, 3317 Rz 8 = MedR 19, 144 m Anm Prütting; BGH NJW-RR 21, 249, 250 [BGH 26.01.2021 - VI ZR 1304/20] Rz 14). Erbringt die Beweisaufnahme ein völlig überraschendes Ergebnis, ist dem allein erschienenen Anwalt ebenfalls Gelegenheit zur Rücksprache mit seiner Partei und zur schriftlichen Stellungnahme zu geben (Kobl NJW-RR 91, 1087, 1088 [OLG Koblenz 21.06.1990 - 5 U 86/90]). Ein darauf beruhendes neues Beweisangebot darf dann nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden (BGH NJW 14, 550, 552 [BGH 25.10.2013 - V ZR 147/12] Rz 25). Ansonsten ermöglicht ein Schriftsatznachlass zur Beweiswürdigung allerdings nicht die Einführung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel (Ddorf NJW-RR 18, 1109, 1111 [OLG Düsseldorf 12.04.2018 - I-5 U 50/16] Rz 38). Das Gericht muss jedoch den Vortrag zum Beweisergebnis berücksichtigen und sich mit ihm auseinandersetzen (BGH MDR 19, 1081 Rz 8). Im Einzelfall kann auch eine Vertagung notwendig sein, etwa nach der umfassenden Erörterung eines Sachverständigengutachtens (BGH NJW 11, 3040 [BGH 28.07.2011 - VII ZR 184/09] Rz 6) oder wenn der Sachverständige in seinen mündlichen Ausführungen neue und ausführlichere Beurteilungen ggü dem bisherigen Gutachten abgegeben hat (BGH NJW-RR 11, 428 [BGH 30.11.2010 - VI ZR 25/09] Rz 5). Dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Partei keinen Antrag auf Schriftsatznachlass gestellt hat (BGH NJW 18, 2202 [BGH 11.04.2018 - VII ZR 177/17] Rz 8; MDR 20, 751 Rz 9 = Bespr Finkelmeier MDR 20, 841 ff [BGH 21.01.2020 - VI ZR 346/18]).

 

Rn 3

Erfolgt die Stellungnahme in zulässiger Weise schriftlich, ist sie gem §§ 279 III, 285 I erneut mit den Parteien zu erörtern, es sei denn, die Parteien hätten einer Verweisung des Rechtsstreits in das schriftliche Verfahren (§ 128 II) zugestimmt. Die Verhandlung über das Beweisergebnis ist gem § 160 II im Protokoll festzuhalten (BGH NJW 90, 121, 122 [BGH 26.04.1989 - I ZR 220/87]). Fehlt ein solcher Hinweis im Protokoll, steht infolge der Beweiskraft der §§ 165 I, 160 II fest, dass sie nicht stattgefunden hat (BGH NJW 12, 2354; Oldbg NJW 21, 244 [BGH 26.05.2020 - VI ZR 321/19] Rz 37). Der Verstoß gegen § 285 I begründet einen Verfahrensfehler (BGH MDR 01, 830 m abl Anm E. Schneider MDR 01, 781) und kann die Revision rechtfertigen, falls nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Stellungnahme der Parteien zum Beweisergebnis zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (BGH BGHReport 06, 529 [BGH 20.12.2005 - VI ZR 307/04] mit Anm Fölsch). Die betreffende Partei muss deshalb zur Begründung ihres Rechtsbehelfs im Einzelnen darlegen, was sie im Rahmen der Verhandlung zum Beweisergebnis vorgetragen hätte (BGH NJW 16, 2890, 2891 [BGH 28.07.2016 - III ZB 127/15] Rz 18 m Anm Manteuffel; NJW-RR 18, 1003, 1004 [BGH 15.02.2018 - I ZR 243/16] Rz 13). Es darf nicht ausgeschlossen sein, dass das Vorbringen zu einer anderen Entscheidung des Erstgerichts geführt hätte (BGH NJW-RR 20, 573, 574 [BGH 12.02.2020 - XII ZB 445/19] Rz 14). Eine Anwendung des § 295 ist nicht möglich, weil es sich um einen Fehler bei der Urteilsfäll...

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