Rn 7

Gegenstand des Beweises sind in erster Linie Tatsachen. Das sind alle konkreten, nach Raum und Zeit bestimmten, vergangenen, gegenwärtigen und zukünftige Geschehnisse und Zustände der Außenwelt und des menschlichen Seelenlebens, die das objektive Recht zur Voraussetzung einer Rechtswirkung gemacht hat (BVerfG NJW 93, 2165 [BVerfG 30.06.1993 - 2 BvR 459/93]; BGH NJW 98, 1223, 1224 [BGH 25.11.1997 - VI ZR 306/96]). Zum Tatsachenbegriff gehören also nicht nur ›äußere‹ Tatsachen als sinnfällige, für die Außenwelt wahrnehmbare Ereignisse, sondern auch ›innere‹ Tatsachen wie Kenntnis, Absicht, Arglist, das Wissen und Wollen des Erfolges beim Vorsatz, der Wille eines Erblassers (BGHZ 86, 41, 43 = NJW 83, 672, 673; Karlsr FamRZ 09, 729, 730, dazu Horn/Kroiß NJW 12, 666, 667) oder das Schmerzempfinden einer Person (BGH NJW 86, 1541, 1542). Der Beweis dieser Tatsachen kann typischerweise nur mit Hilfe des Indizienbeweises (§ 286 Rn 51 ff) bewiesen werden (vgl BGH NJW-RR 04, 247, 248 [BGH 05.11.2003 - VIII ZR 218/01] für den Kenntnisstand des Geschäftsführers einer Gesellschaft). Gegenstand des Beweises können danach ferner hypothetische Tatsachen (das mutmaßliche Verhalten eines arglistig Getäuschten), zukünftige Tatsachen (Prognosen über die Gewinnentwicklung eines geschädigten Unternehmens), das Nichtvorliegen von Tatsachen (sog negative Tatsachen, § 286 Rn 69) und die Unmöglichkeit einer Tatsache sein.

 

Rn 8

Grds keines Beweises zugänglich sind dagegen die sog juristischen Tatsachen. Sie sind nicht tatsächlicher Natur, sondern ergeben sich erst durch die Subsumtion konkreter Tatsachen unter Rechtssätze, dh auf Grund einer allein dem Richter obliegenden rechtlichen Beurteilung. Die Parteien verwenden allerdings häufig in ihrem Vorbringen zum Zwecke der Vereinfachung allgemein geläufige Rechtsbegriffe, um eine ganzen Tatsachenkomplex zu bezeichnen. Solche Rechtsbegriffe stellen dann tatsächliche Behauptungen dar und können auch zugestanden werden (§ 288 Rn 3), sofern es sich um einfache und allgemeine Begriffe des täglichen Lebens handelt wie Kauf, Schenkung, Miete oder Darlehen (vgl BGH NJW 98, 2058, 2060 [BGH 13.03.1998 - V ZR 190/97] für den Begriff ›öffentlicher Weg‹; Kobl NJW-RR 93, 571, 572 für den Begriff ›Eigentum‹; nicht aber für den Begriff der ›Schenkung‹ iRe nichtehelichen Lebensgemeinschaft, vgl BGH NJW 92, 906 [BGH 04.11.1991 - II ZR 26/91]; ausf dazu Orfanidis FS Ishikawa 01, 381 ff). Sie können deshalb ausnahmsweise auch Gegenstand einer Beweiserhebung sein. Werden derartige Rechtsbegriffe behauptet und vom Gegner nicht bestritten, kann das Gericht sie ohne Beweiserhebung seiner Entscheidung zugrunde legen (BGH DtZ 1995, 328 für die Eigentümerstellung bei ehemaligem Volkseigentum). Werden sie dagegen bestritten, muss der Rechtsbegriff aufgelöst und auf einzelne konkrete Tatsachen zurückgeführt werden (vgl BVerfG NJW 19, 419, 420 [BVerfG 20.11.2018 - 1 BvR 2716/17] Rz 17 für den Begriff ›Verpfändung‹).

 

Rn 9

Zu den Tatsachen, über die Beweis erhoben werden kann, gehören schließlich auch die sog Hilfstatsachen des Beweises. Sie betreffen die Zulässigkeit oder den Beweiswert eines Beweismittels und dienen zur Begründung von Beweiseinreden, etwa die mangelnde Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder die Unechtheit einer Urkunde. Nicht zu den Tatsachen gehören Werturteile, wie sie zB in Meinungsäußerungen zum Ausdruck kommen. Sie bringen eine überwiegend auf einer Wertung beruhende subjektive Beurteilung zum Ausdruck und können deshalb nicht durch eine Beweisaufnahme auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden (BGH NJW 82, 2248, 2249 [BGH 22.06.1982 - VI ZR 255/80] für den Vorwurf des Betruges), sondern unterliegen lediglich der Kategorie der Richtigkeit (zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen vgl BVerfG NJW 21, 1585, 1586 [BVerfG 09.12.2020 - 1 BvR 704/18] Rz 20 ff; BGH MDR 21, 679 Rz 23). Eine Tatsachenbehauptung kann allerdings auch dann vorliegen, wenn man eine Aussage mit den Worten ›Ich meine‹ einleitet (vgl den Fall LG Dresden FamRZ 18, 1338). Schließlich ist auch die Auslegung einer Willenserklärung keine Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage (BGH NJW-RR 89, 1282). Gegenstand des Beweises ist dagegen die Feststellung des Erklärungstatbestandes, der die Grundlage der Auslegung bildet (Baumgärtel/Prütting Bd 2 § 133 Rz 1).

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