Rn 51

Der mittelbare (indirekte) Beweis oder Indizienbeweis bezieht sich auf Tatsachen, die nicht zu einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal gehören und die erst durch ihr Zusammenwirken mit anderen Tatsachen den Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals zulassen sollen (BGHZ 53, 245, 260 = NJW 70, 946 – Anastasia). Mit Hilfe des Indizienbeweises können va sog ›innere‹ Tatsachen wie Kenntnis, Absicht, Arglist oder das Wissen und Wollen des Erfolges beim Vorsatz (BVerfG NJW 93, 2165 [BVerfG 30.06.1993 - 2 BvR 459/93] – Nachweis der Selbstnutzungsabsicht des Vermieters im Räumungsprozess) bewiesen werden. Indizien haben nur iRd Beweiswürdigung Bedeutung, lassen also die Verteilung der objektiven Beweislast unberührt. Ihre höchstmögliche beweisrechtliche Wirkung besteht darin, dass der Hauptbeweis für ein bestimmtes gesetzliches Tatbestandsmerkmal als erbracht angesehen werden kann mit der Folge einer Umkehr der konkreten Beweisführungslast (s.u. Rn 61). Der Unterschied zwischen dem Indizienbeweis und dem Anscheinsbeweis ist va darin zu sehen, dass der Indizienbeweis von individuellen Sachlagen auf die Haupttatsache schließen lässt, während der Anscheinsbeweis den Schluss von typischen Sachverhalten auf das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals ermöglicht (Hansen JuS 92, 327, 330). Der Indizienbeweis vermittelt damit häufig eine höhere Wahrscheinlichkeit, weil er auf konkreten Gründen beruht, während der Anscheinsbeweis auf abstrakten Wahrscheinlichkeiten fußt. Außerdem kann der Anscheinsbeweis durch die Führung des Gegenbeweises erschüttert werden, während der Indizienbeweis endgültig und unerschütterlich auf das Vorliegen der streitigen Haupttatsache schließen lässt, weil evtl Gegenbeweise von vornherein in die Beweiswürdigung einbezogen werden.

 

Rn 52

Das Kernstück des Indizienbeweises ist die Prüfung, ob die vorgetragene Indiztatsache – ihre Richtigkeit unterstellt – den Schluss auf das Vorliegen der behaupteten Haupttatsache zulässt (BGH NJW-RR 93, 444 [BGH 02.07.1992 - III ZR 84/91]; MDR 93, 1239, 1240 [BGH 14.01.1993 - IX ZR 238/91]). Reicht ein einzelnes Indiz nicht aus, um die Haupttatsache schlüssig zu beweisen, kann eine entsprechende Schlussfolgerung auch auf Grund einer Gesamtschau aller Indizien und der sonstigen Umstände des Falles gezogen werden (vgl BGH NJW-RR 94, 1112, 1113; Nack MDR 86, 366, 369; Konrad WuW 22, 377, 378). Bejaht das Gericht diese Frage, muss es die angebotenen Indizienbeweise erheben (BGH NJW 89, 2947). Der Schluss auf die Haupttatsache ist jedoch nur möglich, wenn die betreffenden Indiztatsachen feststehen, dh unstr oder bewiesen sind. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der jeweiligen Indiztatsache trägt die Partei, die auch die Haupttatsache zu beweisen hat (BGH NJW 21, 848, 851 Rz 53). Sind die Indiztatsachen bewiesen, darf der Indizienbeweis aber nicht als geführt angesehen werden, solange ein vom Gegner angetretener Gegenbeweis nicht erhoben worden ist (BGH MDR 09, 936, 937). Lassen dagegen die Indiztatsachen weder allein noch in Verbindung mit weiteren Indizien und den sonstigen Umständen des Einzelfalles einen hinreichend sicheren Schluss auf die Haupttatsache zu, so sind die entsprechenden Beweisangebote abzulehnen (BGHZ 121, 266, 271 = NJW 93, 1391; BGH NJW 21, 2281, 2287 Rz 60). Dies gilt auch dann, wenn die Indizien nur mögliche, aber nicht zwingende Schlüsse zulassen. Soll mit Hilfe von Indizien ein indirekter Gegenbeweis (§ 284 Rn 13) geführt werden, müssen die Indiztatsachen ebenfalls zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen (BGH NJW 66, 1911, 1912 [BGH 28.02.1966 - VII ZR 125/65]). Allein die Schlussfolgerung auf Grund dieser Indizien muss bei der Führung des Gegenbeweises nicht so zwingend sein wie beim Hauptbeweis, weil er lediglich darauf gerichtet ist, die – vorläufige – Überzeugung des Gerichts wieder zu erschüttern (s § 284 Rn 13). Besondere Bedeutung kommt dem Indizienbeweis in der Praxis für den Nachweis eines vorgetäuschten Kfz-Diebstahls (s dazu unten Rn 53), eines fingierten Verkehrsunfalls (vgl zuletzt Hamm NJW-RR 17, 85 f [OLG Hamm 24.06.2016 - 9 U 70/16]; Köln NJW-RR 17, 1370 ff [OLG Köln 22.06.2017 - 8 U 19/16]; Hamm NJW-RR 21, 1188 ff; Schlesw NJW 23, 175 ff; zu den einzelnen Beweisanzeichen Eggert in Sonderheft Lemcke, RuS 11, 24 ff; Staab DAR 19, 434 ff; 21, 314 ff; Röttger ZfS 18, 184 ff; Laumen MDR 18, 1153 ff; Exter VersR 22, 137 ff; Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 18 Rz 48 ff; unrichtig Celle NJW-Spezial 12, 10 f, das einen Anscheinsbeweis annimmt; zum Beweismaßstab BGH NJW 20, 1072, 1073, wobei zu Recht angenommen wird, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines vorgetäuschten Unfalls nicht ausreicht) und einer Eigenbrandstiftung zu (zu den Beweisanzeichen vgl BGH NJW-RR 07, 312, 315; Köln VersR 16, 1311 ff; Hambg VersR 17, 546 ff; Frankf VersR 17, 1522, 1523 ff; Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 18 Rz 58).

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