Gesetzestext

 

(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.

(2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein:

1. wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann;
2. wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten auf Grund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde;
3. wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt;
4. bei Widerklagen;
5. bei Klagen, die auf Grund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.

A. Allgemeines.

I. Europarechtlicher Hintergrund.

 

Rn 1

Die frühere Fassung des § 110 wurde durch den EuGH insoweit eingeschränkt, als Kl aus EU-Mitgliedsstaaten keine Sicherheit leisten mussten, wenn die Klage mit der Ausübung gemeinschaftsrechtlich verbürgter Grundfreiheiten zusammenhing (EuGH NJW 93, 2431; NJW 97, 3299). Diesen Bedenken half die Neufassung ab. Diese gilt auch für bei Inkrafttreten am 1.10.98 bereits anhängige Verfahren (BGH NJW 01, 1219 [BGH 13.12.2000 - VIII ZR 260/99]).

II. Zielrichtung.

 

Rn 2

Die Vorschrift bezweckt die Absicherung des Beklagten für den Fall der Klageabweisung. Stammt der Kl nicht aus dem EU- bzw EWR-Raum, drohte die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs des Beklagten sonst an faktischen Hürden – oftmals geringer Betrag, welcher im Ausland geltend zu machen und zu vollstrecken wäre – zu scheitern. Vor derartigen Problemen soll er bewahrt werden (BTDrs 13/10871, 17). Da die Ausländersicherheit nur der Sicherung des eventuellen Kostenerstattungsanspruchs des Gegners dient, umfasst die Vorschrift nicht die Sicherung des Anspruchs der Staatskasse auf Zahlung von Gerichtskosten (Stuttg MDR 85, 1033).

III. Prozessuales.

 

Rn 3

Verlangt der Beklagte Sicherheit, stellt diese eine Prozessvoraussetzung dar. Die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung gehört zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen, die in der höheren Instanz nicht mehr zulässig sind, wenn sie in der Vorinstanz schuldhaft nicht erhoben wurden (BGH NJW-RR 93, 1021; NJW-RR 05, 148 [BGH 30.06.2004 - VIII ZR 273/03]; Rn 9). Ein entsprechendes Verlangen des Beklagten bewirkt jedoch nicht die Unzulässigkeit der Klage, sondern führt zum Vorgehen nach § 113. Die Voraussetzungen sind vAw zu prüfen, wobei der Beibringungsgrundsatz sowie die Beweislastregeln gelten. Die Voraussetzungen des Abs 1 hat der Beklagte, das Vorliegen einer Ausnahme nach Abs 2 hat der Kl darzulegen und zu beweisen (BGH NJW 82, 1223; ZIP 82, 113, 114). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 110 I kann im Freibeweisverfahren festgestellt werden (Ddorf IPrax 18, 518 Rz 44). Verzichtet der Beklagte auf die Einrede, ist deren spätere Geltendmachung ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine Partei in Anbetracht des geringen Streitwertes auf Sicherheitsleistung verzichtet. Hierin liegt dann kein Verzicht auf die Einrede der mangelnden Sicherheit auch für den später angefallenen erheblich höheren Kostenteil, etwa bei Klageerweiterung (LG Schweinfurt NJW 71, 330 [LG Schweinfurt 09.03.1970 - 1 O 75/69]). Bei unberechtigter Erhebung der Einrede kann die Beklagtenseite eine Kostenfolge aus §§ 96, 97 treffen (BGH NJW 80, 838, 839 [BGH 11.12.1979 - X ZR 49/74]).

IV. Anwendungsbereich.

 

Rn 4

Die Vorschrift gilt nur, wenn der Kläger – auch eine juristische Person (EuGH NJW 93, 2431) – seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz (BGH NJW-RR 05, 148, 149 [BGH 30.06.2004 - VIII ZR 273/03]) nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR (zusätzlich zu den EU-Staaten: Island, Liechtenstein, Norwegen) hat. Seit dem 1.1.21 gilt § 110 auch bei Sitz/Aufenthalt im Vereinigten Königreich (Brexit; BGH v 1.3.21 – X ZR 54/19, juris Rz 7; Frankf NJW-RR 22, 71 Rz 4; bzgl natürlicher Personen s aber Rn 14). Der gewöhnliche Aufenthalt wird nach dem Lebensmittelpunkt, dem Schwerpunkt seiner Bindungen bestimmt (BGH NJW 75, 1068 [BGH 05.02.1975 - IV ZR 103/73]; 93, 2047, 2048 [BGH 03.02.1993 - XII ZB 93/90]). Der Sitz juristischer Personen richtet sich nach § 17. Korrespondierend mit der Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthaltes bei natürlichen Personen ist der Verwaltungssitz maßgebend, dh der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, mithin der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Somit kommt es nicht auf den Gründungssitz an. Ob die Gesellschaft an diesem Ort über Vermögen verfügt, ist ohne Belang. Hat eine juristische Person ihren Verwaltungssitz im EU- oder EWR-Raum, muss sie keine Sicherheit leisten (BGH NJW-RR 17, 1320 [BGH 23.08.2017 - IV ZR 93/17] Rz 15, 25); umgekehrt gilt § 110, wenn die juristische Person im Inland und an ihrem satzungsgemäßen Sitz keine Geschäftsräume oder eine tatsächlich dauerhafte zustellungsfähige Anschrift unterhält und sich der Verwaltungssitz außerhalb des...

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