Gesetzestext

 

1Handelt der verurteilte Verwender einem auf § 1 beruhenden Unterlassungsgebot zuwider, so ist die Bestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen als unwirksam anzusehen, soweit sich der betroffene Vertragsteil auf die Wirkung des Unterlassungsurteils beruft. 2Er kann sich jedoch auf die Wirkung des Unterlassungsurteils nicht berufen, wenn der verurteilte Verwender gegen das Urteil die Klage nach § 10 erheben könnte.

A. Zweck.

 

Rn 1

Die AGB-Verbandsklage verfolgt das Ziel, den Rechtsverkehr nach Möglichkeit von unwirksamen AGB freizuhalten; ihre Wirkung soll daher über das Verhältnis zwischen Verbandskläger und beklagtem Verwender hinausreichen. Die Vorschrift des § 11 verleiht dem Urt in einem AGB-Verbandsklageverfahren daher eine beschränkte Breitenwirkung in der Weise, dass betroffene Vertragspartner des Verwenders die bereits im Verbandsklageverfahren festgestellte Unwirksamkeit von AGB-Bestimmungen auch im Individualprozess geltend machen können. Die Vorschrift ist bisher praktisch allerdings weitgehend bedeutungslos geblieben (MüKoZPO/Micklitz/Rott Rz 2); ihre Bedeutung tritt hinter die faktische Breitenwirkung von AGB-Kontrollklagen weit zurück (zur EuGH-Rspr über die Breitenwirkung von Unterlassungurteilen s unten Rn 3).

B. Breitenwirkung des Urteils.

I. Dogmatische Einordnung.

 

Rn 2

Die Vorschrift wird überwiegend als eine atypische Form der Rechtskrafterstreckung angesehen (vgl Basedow AcP 182, 335, 346). Das im Verbandsverfahren ergangene Unterlassungsurteil wird nur in seiner Feststellungswirkung hinsichtlich der Unwirksamkeit der betreffenden Klausel auf den Individualprozess erstreckt. Diese Wirkung ist aber anders als in sonstigen Fällen der Rechtskrafterstreckung (BGH NJW 93, 3204, 3205 [BGH 24.06.1993 - III ZR 43/92]) nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vAw zu beachten, sondern nur auf Einrede der begünstigten Partei. Dies passt schon im System des deutschen Rechts nicht, denn die Regeln über die Rechtskraft sollen nicht nur dem Schutz der jeweiligen Partei dienen, sondern auch der Entlastung der Gerichte und der Einheitlichkeit der staatlichen Rechtsordnung (s nur MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 52).

II. Berücksichtigung von Amts wegen notwendig.

 

Rn 3

Aus Sicht des Europarechts verlangt außerdem der Effektivitätsgrundsatz, dass eine rechtswidrige AGB-Klausel, deren Unwirksamkeit im Unterlassungsklageverfahren bereits festgestellt wurde, auch in vertragsrechtlichen Streitigkeiten mit demselben Verwender von den Gerichten nicht mehr angewandt wird, und zwar vAw (EuGH 26.4.12 – Rs C-472/10 Rz 38 und 43). Die Vorschrift des § 11 UKlaG ist daher in ihrer gegenwärtigen Form europarechtswidrig; bereits jetzt ist sie richtlinienkonform dahingend auszulegen, dass die Unwirksamkeit der betreffenden Klausel vAw zu beachten ist (vgl Micklitz/Reich EWS 12, 257, 261 f; Niebling MDR 12, 1071, 1077; v. Westphalen ZIP 12, 2469, 2470). Das zuständige Gericht hat sich vAw einen Überblick über einschlägige obergerichtliche Urteile zu verschaffen (MüKoZPO/Micklitz Rz 10). Dies wiederum kann nur durch die Schaffung eines Verzeichnisses rechtswidriger Klauseln geschehen, wie es in § 20 AGBG aF einmal in seinerzeit nicht praxisgerechter Form vorgesehen war, heute aber durch EDV problemlos möglich wäre. Hier besteht rechtspolitischer Handlungsbedarf (vgl Stadler/Klöpfer VuR 12, 343).

III. Wirkung nur zu Lasten des Verwenders.

 

Rn 4

Die Wirkungserstreckung findet nur zu Lasten eines verurteilten Verwenders statt, nicht zu seinen Gunsten. Hat also ein Verwender im Verbandsklageverfahren obsiegt, weil das Gericht bestimmte AGB-Klauseln für wirksam gehalten hat, so ist das Gericht im Individualverfahren nicht an diese Feststellung gebunden; das Urt im Verbandsklageprozess hat dann bloß faktische Bedeutung. Zu Lasten anderer Verwender, die nicht im Verbandsklageverfahren verurteilt wurden, gibt es ebenfalls keine Rechtskrafterstreckung. Für beide Varianten fehlt das rechtliche Gehör der jeweils belasteten Partei.

C. Ausschluss der Wirkungserstreckung (S 2).

 

Rn 5

Bei Änderung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ein verurteilter Verwender gegen das im Verbandsklageverfahren ergangene Urt gem § 10 die Vollstreckungsgegenklage erheben. Daher soll in dieser Konstellation auch die Wirkungserstreckung entfallen. Problematisch ist aber, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift die Vollstreckungsgegenklage weder erfolgreich noch erhoben sein muss. Es reicht nach dem Wortlaut der Vorschrift aus, dass sie erhoben werden ›könnte‹. Falls der Verwender sich auf diese Möglichkeit beruft, sind die Erfolgsaussichten der Vollstreckungsgegenklage inzident im Individualprozess zu überprüfen (dazu mit Recht krit MüKoZPO/Micklitz Rz 10). Auch diese Vorschrift ist mit den europarechtlichen Vorgaben kaum vereinbar (Micklitz/Reich EWS 12, 257, 262). Wenn die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel im Unterlassungsklageverfahren rechtskräftig festgestellt ist, so ist es nicht gerade effizient, wenn diese Feststellung durch bloße Einrede im Individualprozess wieder in Frage gestellt werden kann.

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