Gesetzestext

 

(1) Durch Musterverfahrensantrag kann im ersten Rechtszug die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen (Feststellungsziele) begehrt werden. Der Musterverfahrensantrag kann vom Kläger und vom Beklagten gestellt werden.

(2) Der Musterverfahrensantrag ist bei dem Prozessgericht unter Angabe der Feststellungsziele und der öffentlichen Kapitalmarktinformationen zu stellen.

(3) In dem Antrag sind die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Der Antragsteller muss darlegen, dass der Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren (Musterentscheid) Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann.

(4) Dem Antragsgegner ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

A. Musterverfahrensantrag.

 

Rn 1

Das KapMuG-Verfahren kann nur auf Antrag einer Partei eingeleitet werden, nicht vAw; allerdings kommt ein Hinweis des Gerichts gem § 139 ZPO in Betracht. Die begriffliche Änderung von ›Musterfeststellungsantrag‹ zum heutigen ›Musterverfahrensantrag‹ soll klarstellen, dass es sich um einen Verfahrensantrag und nicht um einen Sachantrag handelt (BTDrs 17/8799, 17).

B. Im ersten Rechtszug.

 

Rn 2

Der Musterverfahrensantrag kann bereits mit Anhängigkeit der Klage, dh zusammen mit Einreichung der Klageschrift, gestellt werden (BTDrs 17/8799, 17). In der Rechtsmittelinstanz kann kein Musterverfahrensantrag mehr gestellt werden (München 27.10.16 – 23 U 1596/16). Nach Ansicht des BGH zum KapMuG aF wird ein entsprechender Antrag auch dann unzulässig, wenn er zwar im ersten Rechtszug gestellt wurde, aber dort nicht über ihn entschieden wurde (BGH WM 08, 124). Jedoch muss auch in der Berufungsinstanz das Verfahren gem § 8 KapMuG ausgesetzt werden, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen (BGH aaO 125, vgl § 8 KapMuG Rn 1).

C. Inhalt des Musterverfahrensantrags.

I. Feststellungsziele.

 

Rn 3

Mit den anzugebenden Feststellungszielen wird der Streitgegenstand des Musterverfahrens umschrieben. Es können sowohl Tatsachen (›anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Voraussetzungen‹) als auch Antworten auf Rechtsfragen festgestellt werden. Das früher vorgeschriebene Merkmal der ›Klärungsbedürftigkeit‹ einer Rechtsfrage (§ 1 III Nr 5 KapMuG aF) ist aufgegeben (dazu Wolf/Lange NJW 12, 3751, 3752, s aber § 3 Rn 2). Zu den musterverfahrensfähigen Rechtsfragen können auch verfahrensrechtliche Fragen gehören, etwa die Auslegung des § 32b ZPO (Stuttg WM 19, 1079). Das Feststellungsziel muss eindeutig bestimmt sein (entsprechend § 253 II Nr 2 ZPO), so dass etwa die behaupteten Prospektfehler spezifisch bezeichnet werden müssen, nicht mit ›insbesondere durch …‹ (BGH NJW 17, 3777, 3783 [BGH 19.09.2017 - XI ZB 17/15]; BGH NJW-RR 18, 490 [BGH 09.01.2018 - II ZB 14/16]). Es müssen die konkreten Aussagen oder Auslassungen im Prospekt wiedergegeben werden (BGH NJW-RR 21, 1129 [BGH 18.05.2021 - XI ZB 19/18]). Bei sonstigen Kapitalmarktinformationen ist anzugeben, welche Informationen unrichtig seien oder in welcher Hinsicht angeblich unzureichend informiert wurde. Es ist aber nicht erforderlich, jede einzelne Tatsache anzugeben, aus der sich die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Kapitalmarktinformation ergeben soll, dies kann dem Parteivortrag entnommen werden (Celle 30.9.22 – 13 Kap 1/16, Rz 715).

 

Rn 4

Die Verwendung des Plurals im Gesetz stellt klar, dass ein Musterverfahrensantrag auch mehrere Feststellungsziele enthalten kann, was zum alten Recht noch umstritten war. Jedes Feststellungsziel bildet einen eigenen Streitgegenstand (BGH NJW 17, 3777, 3779 [BGH 19.09.2017 - XI ZB 17/15]).

 

Rn 5

Gem Abs 3 S 2 ist vom Antragsteller die für das Musterverfahren notwendige Breitenwirkung der begehrten Feststellungsziele darzulegen. Die Breitenwirkung muss sich nicht auf bereits anhängige Prozesse beziehen, sondern nur auf andere ›Rechtsstreitigkeiten‹, die sich auch noch im außergerichtlichen Raum befinden können. Sie fehlt aber, wenn nur ein individueller Schaden (BGHZ 177, 88 Rz 15) oder die Verjährung oder Verwirkung eines bestimmten Anspruchs festgestellt werden soll (BGH ebd Rz 25). Auch die Begründetheit eines Anspruchs als solche kann nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein (BGH ebd Rz 24). Dagegen sind generelle Feststellungen zur Art und Weise einer Schadensberechnung durchaus KapMuG-fähig, soweit sie eine Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse in den Ausgangsverfahren nicht ausschließen (BGH ZIP 14, 2121, 2131). Bei Fragen der Kausalität ist zu unterscheiden: Ein individueller Kausalverlauf kann nicht Feststellungsziel sein (BGH WM 08, 124 Rz 6), wohl aber das Vorliegen einer insgesamt positiven Anlagestimmung (Bergmeister 204) oder sonstige allgemeine Entwicklungen oder Kausalbeziehungen am Kapitalmarkt (Hdb Kapitalmarktinformation/Schmitz § 32 Rz 89). Enthält der Antrag unzulässige oder zu weite Feststellungsziele, so hat das Prozessgericht gem § 139 I ZPO einzugreifen (München NZG 07, 911, 912 [OLG München 01.10.2007 - W (KAPMU) 10/07]). Werden Pr...

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