Rn 5

Hinsichtlich des Anwendungsbereichs der VO ist zu unterscheiden: Art 1 regelt den sachlichen (auch: gegenständlichen oder persönlichen) Anwendungsbereich. Ausweislich der Erw 5 schließt dieser Begriff zivilgerichtliche Verfahren und die sich daraus ergebenden Entscheidungen sowie öffentliche Urkunden und bestimmte außergerichtliche Vereinbarungen in Ehesachen und in Sachen der elterlichen Verantwortung ein (iE Art 1 Rn 4 Brüssel IIa-VO). Ob die VO nunmehr auch auf gleichgeschlechtliche Ehen Anwendung findet, ist nach wie vor unklar (Gruber/Möller IPRax 20, 393 [399]; ThoPu/Hüßtege Vorb Brüssel IIb-VO Rz 9). Ob allerdings überhaupt eine Ehe wirksam zustande gekommen ist, ist eine selbständig anzuknüpfende Vorfrage (Ddorf FamRZ 21, 1461).

Die VO sieht nunmehr explizit die Anerkennung einer Privatscheidung vor. Allerdings hat der EuGH (FamRZ 23, 21: Italien) unter der Geltung der Brüssel IIa-VO entschieden, dass auch außergerichtliche Vereinbarungen der Parteien dem Anerkennungsregime der Art 21 ff Brüssel IIa-VO unterfallen, sofern eine Behörde eine Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen – in Abgrenzung zu einem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich, den das Gericht ohne inhaltliche Prüfung lediglich zur Kenntnis nimmt – anhand des nationalen Rechts vornimmt. Der Anwendungsbereich der Art 65 ff Brüssel IIb-VO verkürzt sich deshalb auf diejenigen Privatscheidungen, bei denen eine behördliche Prüfung bzw Kontrolle nicht vorgenommen wird (vgl auch Dutta FamRZ 23, 16, 17 zu weiteren Privatscheidungen in den Mitgliedstaaten).

Die Zuständigkeitsnormen der VO gelten ohne Ansehung der Staatsangehörigkeit der Beteiligten (Stuttg FamRZ 04, 1382; Kobl FamRZ 09, 611, 612), zugleich muss nicht zwingend ein kompetenzrechtlicher Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat vorliegen (EuGH NJW 19, 415 Rz 41 Anm Dimmler FamRB 18, 474; BGH FamRZ 08, 1409).

 

Rn 6

Der räumliche (oder: territoriale) Anwendungsbereich (dazu auch Andrae IPRax 06, 82) ergibt sich vereinfacht aus Art 2 Nr 3 (alle EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark) und im Detail – zB betreffend die überseeischen Departements Frankreichs – aus Art 355 AEUV, in dem das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten genau definiert wird (iE Rn 5 Brüssel IIa-VO).

 

Rn 7

Der zeitliche Geltungsbereich folgt aus Art 105 II (ab 1.8.22) und Art 100 (Übergangsvorschrift; Rn 1). Für die nach dem 1.8.22 der EU beitretenden Staaten ist die VO indes frühestens ab dem Tag ihres Beitritts anwendbar (vgl EuGH FamRZ 10, 2049 zur Brüssel II-VO [VO Nr 1347/2000]).

 

Rn 8

Im Einklang mit der bisherigen Rspr des EuGH (FamRZ 16, 207) ist der Begriff ›Zivilsachen‹ weit auszulegen (Erw 5), weshalb auch die Inobhutnahme eines Kindes nach Öffentlichem Recht eine Zivilsache ist.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge