Rn 10

Richterliche Unabhängigkeit bedeutet nicht grenzenlose Freiheit. Sie ist kein Grundrecht und kein ›Standesprivileg‹, sondern dient nach der Rspr des BGH der Erfüllung der Justizgewährungspflicht des Staates durch den Gewalten teilenden Rechtsstaat. Auch Richter unterliegen – mit Ausn der Richter des Bundesverfassungsgerichts – vor diesem Hintergrund einer Dienstaufsicht, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt werden darf (§§ 25, 26 I DRiG). Im Kernbereich richterlicher Tätigkeit haben sich auch Dienstvorgesetzte grds jeglicher Einflussnahme zu enthalten (BGH NJW-RR, 11, 700, BGHZ 176, 162 und 93, 238). Die zumeist zunächst durch ihrerseits als weisungsgebundene Exekutivorgane tätig werdende Gerichtspräsidenten, im weiteren regelmäßig durch die Justizministerien ausgeübte Dienstaufsicht (dazu Schmidt-Räntsch § 26 Rz 10 ff; Zö/Lückemann Einl GVG Rz 10, 11; § 38 VwGO speziell für die Verwaltungsgerichte, dazu BGH DRiZ 02, 14 [BGH 10.08.2001 - Ri Z(R) 5/00]) umfasst grds auch die Befugnis zur Überwachung einer ordnungsgem Führung der Dienstgeschäfte. Die Übertragung entspr Befugnisse auf einen Richter iRd Geschäftsverteilung für die Verwaltungsabteilung des Gerichts ist nicht zulässig (BGH Urt v 12.5.11 – RiZ [R] 4/09). Nach der Rspr des BGH (grdl DRiZ 64, 375 [BGH 23.10.1963 - RiZ 1/62]) ist im Zusammenhang mit Dienstaufsichtsmaßnahmen ein der Dienstaufsicht grds nicht zugänglicher Kernbereich richterlicher Tätigkeit von einem davon ›entrückten‹ Bereich ›äußerer Ordnung‹ des Geschäftsablaufs und des Verfahrensgangs abzugrenzen, in dem solche Maßnahmen zulässig sind (BGH DRiZ 87, 57; NJW 08, 1448 [BGH 15.11.2007 - RiZ(R) 4/07]). Eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit durch Maßnahmen der Dienstaufsicht kommt immer dann in Betracht, wenn sie bestimmt oder geeignet sind, die Rechtsfindung auch nur mittelbar zu beeinflussen. Zum geschützten Kernbereich der der Dienstaufsicht grds entzogenen sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehören neben der eigentlichen Rechtsfindung dieser dienende Verfahrenshandlungen, wie etwa die Verhandlungsführung (BGH NJW 06, 1674) oder auch Erklärungen des Richters in einem Ablehnungsverfahren (BGH Urt v 12.5.11 – RiZ [R] 4/09, zum Vorwurf ›unbegründeter‹ Selbstablehnung). Die Übergänge sind fließend und die Unterscheidung lässt sich nicht allein an den Merkmalen der jeweiligen Betätigung festmachen, zB wenn es um die Beanstandung von Äußerungen des Richters in der mündlichen Verhandlung ggü den Beteiligten (dazu BGH NJW 06, 1674 [BGH 22.02.2006 - RiZ(R) 3/05]) oder allg um Umgangsformen oder das nicht zum Kernbereich der Unabhängigkeit zu rechnende Tragen der Amtstracht geht. Andererseits sollen ›offensichtliche Fehlgriffe im Kernbereich‹ wiederum in den im Wege der Dienstaufsicht beanstandungsfähigen Bereich der äußeren Ordnung zu verlagern sein (zum Meinungsstand etwa Kissel/Mayer § 1 Rz 59). Das ist nachvollziehbar bei verbalen Entgleisungen des Richters in der mündlichen Verhandlung, etwa wenn sie den Achtungsanspruch und die Personenwürde eines Beteiligten verletzen und ihn als bloßes Objekt des staatlichen Gerichtsverfahrens erscheinen lassen (BVerwGE 24, 264 [BVerwG 06.07.1966 - BVerwG V C 80.64]) oder bei einem entspr ›verbalen Exzess‹ in der schriftlichen Begründung einer Entscheidung. Nicht erforderlich ist, dass – was allerdings regelmäßig der Fall sein wird – die Äußerung den obj Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) erfüllt (OVG Koblenz NVwZ-RR 05, 2). Hierbei kann es sich jedoch allenfalls um Ausnahmefälle handeln. Im Zweifel ist auch bei ›pointierten Äußerungen‹, die sich noch als ›tatsachenadäquate Wertung‹ des prozessualen Verhaltens eines Beteiligten qualifizieren lassen (BGHZ 70, 1, ›dummdreiste Lüge‹), die richterliche Unabhängigkeit zu respektieren (BGH DRiZ 91, 410 mwN, Frankf DRiZ 09, 191 [BGH 16.10.2008 - RiZ(R) 2/08]). Besonderheiten bestehen im Bereich einer vom Dienstherrn vermuteten oder angenommenen Dienstunfähigkeit des Richters aufgrund seiner psychischen Disposition. Hier ist es nicht zu vermeiden und nicht als Überschreitung der Grenze zur unzulässigen Einwirkung in den Bereich richterlicher Unabhängigkeit zu werten, wenn Verhaltensauffälligkeiten nicht nur im Bereich der ›äußeren Ordnung‹ oder von offenkundigen ›Fehlgriffen‹, sondern auch in der Verfahrensgestaltung, dem Umgang mit den Beteiligten oder im Gang der Entscheidungsfindung benannt werden, aus denen sich eine Dienstunfähigkeit ergeben könnte. Äußerungen, die für die Klärung der Dienstunfähigkeit nicht geeignet bzw nicht geboten sind, wie etwa entspr Verlautbarungen in der Presse, und die ohne den notwendigen Zusammenhang den Kernbereich richterlicher Tätigkeit betreffen, sind dagegen auch hier unzulässig (BGH Urt v 12.5.11 – RiZ [R] 4/09).

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