Gesetzestext

 

(1) Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen.

(2) Das Gericht erörtert in Verfahren nach Absatz 1 die Sache mit den Beteiligten in einem Termin. 2Der Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden. Das Gericht hört in diesem Termin das Jugendamt an. Eine Verlegung des Termins ist nur aus zwingenden Gründen zulässig. Der Verlegungsgrund ist mit dem Verlegungsgesuch glaubhaft zu machen.

(3) Das Gericht soll das persönliche Erscheinen der verfahrensfähigen Beteiligten zu dem Termin anordnen.

(4) Hat das Gericht ein Verfahren nach Absatz 1 zur Durchführung einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ausgesetzt, nimmt es das Verfahren in der Regel nach drei Monaten wieder auf, wenn die Beteiligten keine einvernehmliche Regelung erzielen.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift entspricht in den ersten drei Abs nahezu wortgleich § 50e Abs 1–3 FGG aF, der aufgrund des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4.7.08 (BGBl I, 1188) eingefügt wurde und zum 12.7.08 in Kraft getreten ist. Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot war ein Schwerpunkt der Reform des familienrechtlichen Verfahrens im FGG-RG. Nicht nur der EGMR hatte bereits frühzeitig die besondere Bedeutung der Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer in kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten erkannt und wiederholt auf die gravierenden Folgen überlanger Verfahren für das durch Art 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben hingewiesen (zB Urt v 27.6.00 – 32842/96, Nuutinen/Finnnland, juris; NJW 06, 2241; FuR 07, 410; FamRZ 09, 1037), sondern auch das BVerfG (zB FamRZ 97, 871; 08, 2258). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die der Vorschrift des § 61a I ArbGG nachgebildete Regelung insb eine Verkürzung der Verfahrensdauer in sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren bewirken, die angesichts der statistischen Werte aus dem Jahr 2005 mit durchschnittlich 6,8 Monaten (Umgang) und 7,1 Monaten (Sorgerecht) unter Kindeswohlaspekten verbesserungsbedürftig erschien (vgl. BTDrs 16/6308, 235). Die faktische Präjudizierung einer Entscheidung, die durch Verfestigung bzw Veränderung von Bindungs- und Beziehungsverhältnissen während des Verfahrens eintreten kann (EGMR FamRZ 11, 1283; BGH FamRZ 14, 933; Bremen FuR 17, 269; Stuttg FuR 18, 267), soll verhindert werden. Zugleich soll eine Deeskalation und eine Stärkung der Elternverantwortung erreicht werden (BRDrs 309/07, 524). Abs 4 wurde mWz 26.7.12 aufgrund des Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbereinigung (v 21.7.12, BGBl I, 1577), das am 26.7.12 in Kraft getreten ist, angefügt. Mit dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot geht es um die Verkürzung der Verfahrensdauer, aber nicht um den ›kurzen Prozess‹ (Salgo FF 10, 352–361)

 

Rn 2

Macht ein Verfahrensbeteiligter einen Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot geltend, steht ihm mit den zum 15.10.16 in Kraft getretenen §§ 155b und 155c ein besonderes Zwischenverfahren (Beschleunigungsrüge) offen, durch das sichergestellt werden soll, dass sich das Gericht bereits in dem konkreten Verfahren mit der Verfahrensdauer in einem Beschluss auseinanderzusetzen hat; gegen diese Zwischenentscheidung steht dem Beteiligten die Beschwerde zu (Beschleunigungsbeschwerde).

B. Die Vorschrift im Einzelnen.

I. Grundsatz des Vorrang- und Beschleunigungsgebots (Abs 1).

 

Rn 3

Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot gilt für alle Kindschaftssachen, die

 

Rn 4

Nicht anwendbar ist das Vorrang- und Beschleunigungsgebot auf Verfahren betreffend die Genehmigung von freiheitsentziehender Unterbringung und freiheitsentziehenden Maßnahmen iSv § 151 Nr 6 und 7; aufgrund der Verweisung in § 167 I sind grds die für Unterbringungssachen Erwachsener geltenden Vorschriften der §§ 312 ff anzuwenden, sodass das Vorrang- und Beschleunigungsgebot gem § 155 I nicht gilt, wenngleich bei der Auslegung der Unterbringungsvorschriften die Wertungen, die in den §§ 155 ff zum Ausdruck kommen, berücksichtigt werden sollten (BGH FuR 13, 219 mwN).

 

Rn 5

Ist eine Kindschaftssache iR eines Scheidungsverbundverfahrens zu entscheiden, hat die Vorschrift des § 155 besondere Bedeutung, obgleich eine Entscheidung gem § 137 II 1 (erst) für den Fall der Sche...

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