Gesetzestext

 

(1) Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, sind für alle Entscheidungen zuständig, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen, wenn

a) zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind hat und
b) die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten oder von den Trägern der elterlichen Verantwortung zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

(2) Die Zuständigkeit gemäß Abs. 1 endet,

a) sobald die stattgebende oder abweisende Entscheidung über den Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe rechtskräftig geworden ist,
b) oder in den Fällen, in denen zu dem unter Buchstabe a) genannten Zeitpunkt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist, sobald die Entscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig geworden ist,
c) oder sobald die unter den Buchstaben a) und b) genannten Verfahren aus einem anderen Grund beendet worden sind.

(3) Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Abs. 1 genannten Verfahren, wenn

a) eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, und
b) alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

(4) Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, der nicht Vertragspartei des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern ist, so ist davon auszugehen, dass die auf diesen Artikel gestützte Zuständigkeit insbesondere dann in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht, wenn sich ein Verfahren in dem betreffenden Drittstaat als unmöglich erweist.

A. Überblick.

 

Rn 1

Diese Vorschrift regelt neben Art 9 und Art 10 die letzte – wegen Art 8 II vorrangige – Ausnahme von Art 8 I (vgl auch Saarbr FamRZ 11, 1514). Art 12 ermöglicht bzgl aller Verfahrensgegenstände aus dem Bereich der elterlichen Verantwortung in engen Grenzen eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien. Art 12 erfasst drei Situationen: Den Verbund der Sache betreffend die elterliche Verantwortung mit einer Ehesache (Abs I und II, für Deutschland va: Scheidungsverbund), die wesentliche Verbindung jener Sache zum Staat des angerufenen Gerichts (Abs III) und die Unmöglichkeit, jenes Verfahren in einem eigentlich international zuständigen Drittstaat durchzuführen (Abs IV). Damit wird eine internationale Zuständigkeit auch hinsichtlich derjenigen Kinder begründet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Mitgliedstaaten haben. Hält sich jedoch das Kind gewöhnlich in einem vertraglich gebundenen Mitgliedstaat des Haager Kinderschutzübereinkommens 1996 auf, der nicht zugleich EU-Mitgliedstaat ist, ist Art 10 KSÜ vorrangig anzuwenden (Schulz FPR 04, 299, 300).

B. Verbundzuständigkeit des Scheidungsgerichts (Abs 1, 2).

 

Rn 2

Abs 1 erfasst die Herbeiführung der Zuständigkeit des Scheidungsgerichts für die Sorgerechtsentscheidung. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Scheidung erst nachträglich anhängig wird und die Sache betreffend die elterliche Verantwortung als Folgesache in den Scheidungsverbund fällt (so aber Karlsr NJW-RR 04, 1084; dagegen zu Recht NK-BGB/Gruber Art 12 Rz 4; Gruber IPRax 04, 507 [OLG Karlsruhe 16.08.2003 - 18 UF 171/02]). Hiergegen streiten entscheidend der Wortlaut der Norm, aber auch verfahrensökonomische Gründe.

Folgende Bedingungen müssen außerdem für die Verbundzuständigkeit vorliegen:

  • Zumindest ein Ehegatte muss die elterliche Verantwortung für das Kind haben (vgl dazu weiter Art 16 KSÜ: Sorgerechtserwerb und Schutz vor Sorgerechtsverlust ex lege!).
  • Der Richter muss feststellen, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem er angerufen wird, alle Träger elterlicher Verantwortung die Zuständigkeit des Scheidungsgerichts formell oder durch eindeutiges Verhalten anerkennen. Umstr ist allerdings, ob es sich bei der Anerkennung um eine echte Gerichtsstandsvereinbarung oder um ein Institut sui generis handelt (zum Meinungsstand Reuß in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens, Europa als Taktgeber für das Internationale Familienrecht, 2022, S 33, 35). Angesichts des Wortlauts liegt eine echte Gerichtsstandsvereinbarung nahe.
  • Eine automatische Zuständigkeit über Fragen der elterlichen Verantwortung besteht allerdings nicht, auch nicht im Falle der Zuständigkeit des Ger...

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