Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Absatz 1 Satz1 MRK spricht dem Betroffenen das Recht zu, auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, durch die Verwaltungsbehörde zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hierzu gehören bei Bußgeldverfahren wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes auch die für das Messgerät vorhandenen Wartungs- und Instandsetzungsnachweise im Eichzeitraum.

 

Verfahrensgang

AG Bad Dürkheim (Entscheidung vom 13.07.2020; Aktenzeichen 2 OWi 5988 Js 44472/19)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Dürkheim vom 13. Juli 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen in zulässiger Weise eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz - Zentrale Bußgeldstelle - vom 2. Oktober 2019 (Az.: 13.3504405.0) am 13. Juli 2020 wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von mindestens 33 km/h zu einer Geldbuße von 145,- Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem auf die Beanstandung der Verletzung förmlichen und materiellen Rechts gestützten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken hat am 8. Oktober 2020 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Hierzu hat die Verteidigung am 21. Oktober 2020 eine Gegenerklärung abgegeben, in der sie an ihrem Antrag festhält.

Der originär zuständige Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und die Sache mit Beschluss vom 15. April 2021 auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 1 und 3 OWiG).

Das nach § 79 Abs. 1 S. 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsmittel ist begründet und führt zum Erfolg. Die nicht gewährte Einsichtsmöglichkeit in die nicht bei den Akten befindlichen Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen zu dem bei der Messung verwendeten Messgerät durch das Amtsgericht Bad Dürkheim ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Recht auf ein faires Verfahren nicht vereinbar.

II.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene mit einem PKW, amtliches Kennzeichen ..., am 9. August 2019 gegen 14:00 Uhr öffentliche Straßen, zuletzt die A 65 und nahm sodann die Ausfahrt Deidesheim und fuhr auf die Bundesstraße 271 auf. Zu diesem Zeitpunkt fand eine mobile Geschwindigkeitsüberwachung durch die Polizei, durchgeführt von dem Zeugen Polizeikommissar P. statt. Es handelt sich hierbei um einen Bereich außerhalb geschlossener Ortschaften; an der Messstelle ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt, was aus beiden Richtungen der A 65 beidseitig durch entsprechende Verkehrsschilder angezeigt wird, die auf die Begrenzung 80 km/h hinweisen. Die durchgeführte Messung betraf lediglich den ankommenden Verkehr in Fahrtrichtung Bad Dürkheim und wurde mittels Lichtschrankenmessung Typ ES 3.0 (Hersteller Eso GmbH) durchgeführt.

III.

Die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) beanstandet, greift vorliegend durch und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.

1) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Erlass des Bußgeldbescheids gegen den Betroffenen am 2. Oktober 2019, dem Betroffenen am 9. Oktober zugestellt, und Einspruch am 17. Oktober 2019, bestellte sich die Verteidigerin und beantragte in Unkenntnis der Abgabe gemäß § 69 Abs. 3 OWiG Akteneinsicht bei der Verwaltungsbehörde. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 beantragte die Verteidigerin gegenüber der Bußgeldbehörde ihr zusätzlich Folgendes zur Verfügung zu stellen:

- Digitale Falldaten mit unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messreihe

- Statistikdatei und Public-Key des Messgerätes

- die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme mit Gerätebegleitkarte sowie

- Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsmessung.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2020 überließ die Bußgeldbehörde der Verteidigerin daraufhin eine CD mit folgendem Inhalt: Schulungsnachweise Auswerter, einzelne Falldatei/Public Key, Bild mit Schlüsselsymbolen, entschlüsselte/ konvertierte Bilder, Statistikdatei, Softwareversion (ESO-Viewer) sowie mit Schreiben vom 24. Januar 2020 einen Vermerk zur Beschilderung. Die fehlende Übersendung der weiteren angeforderten Unterlagen wurde nicht begründet.

Mit Schreiben vom 3. März 2020 beantragte die Verteidigerin gerichtliche Entscheidung dahingehend, die Verwaltungsbehörde anzuweisen, der Verteidigung die folgenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen:

- Di...

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