143 km/h auf der Landstraße: Bedingter Vorsatz statt Fahrlässigkeit

Ein Autofahrer war auf einer Landstraße mit 143 km/h unterwegs, also 43 km/h schneller als die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Die Unaufmerksamkeit begründete der Mann damit, dass er über ein Alarmsystem einen Daueralarm von der elektronischen Einfriedung der Koppel erhalten habe, auf der seine Pferde stehen. In der Vergangenheit sei es schon einmal vorgekommen, dass sich eines seiner Pferde in einer stromführenden Schnur verwickelt und wiederholt Stromschläge erhalten habe.
AG: Fahrlässiger Verstoß und Geldbuße
Das sei der Grund, warum er möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt hinsichtlich der Geschwindigkeitsbeschränkung aufgebracht habe. Das Amtsgericht hatte die Ausführungen als nicht widerlegt erachtet und in dem Verhalten des Mannes nur einen fahrlässigen Verstoß gesehen. Es verurteilte ihn zu einer Geldbuße von 320 EUR.
OLG: Lediglich fahrlässiges Verhalten nicht haltbar
Das OLG Zweibrücken kam zu einer anderen Einschätzung. Die Annahme eines lediglich fahrlässigen Verhaltens sei nicht haltbar. Der Betroffene habe weder ausgesagt, dass er die wiederholt beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen übersehen habe. Noch habe er behauptet, die von ihm gefahrene Geschwindigkeit falsch eingeschätzt zu haben.
Geschwindigkeitsüberschreitung müsste erkannt werden
Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass Verkehrsschilder wahrgenommen werden. Wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 Prozent überschritten werde, sei zudem regelmäßig davon auszugehen, dass dem Fahrer das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit nicht verborgen geblieben sein könne.
Indizwirkung erfordert bestreitende Einlassung
Diese Indizwirkung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung auf ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten könne allerdings durch eine entsprechende bestreitende Einlassung des Betroffenen oder das Vorliegen gegenteiliger Ansatzpunkte entkräftet werden.
Motiv legt bedingten Vorsatz nahe
Hinsichtlich des Motivs für die Fahrt hätte sich das Amtsgericht mit der Möglichkeit befassen müssen, dass der Betroffene in einer vermeintlichen Notsituation bewusst eine Geschwindigkeitsüberschreitung in Kauf genommen habe, um schneller fortzukommen und somit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt habe.
Das Amtsgericht hätte zumindest die Behauptung des Mannes, die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht erkannt zu haben, nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Zumal der Mann die Strecke offensichtlich gekannt habe und auch die dort vorhandenen Geschwindigkeitsbegrenzungen.
(OLG Zweibrücken, Beschluss v. 3.2.2022, 1 OWi 2 SsBs 113/21)
Hintergrund: Vorsatz beim RasenDer Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird (§ 3 StVO) (OLG Hamm, Beschluss v. 10.5.2016, 4 RBs 91/16). Die Annahme des Vorsatzes erfordert umfassende Feststellungen, wobei nach einer Ansicht selbst eine hohe Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann nicht immer ohne weiteres auf Vorsatz schließen lässt, wenn z.B. die auf der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge wesentlich langsamer fahren ... da dem Betroffenen nämlich immer nachgewiesen werden muss, dass er bewusst schneller als erlaubt gefahren ist, er also die Geschwindigkeitsbegrenzung kannte und sie bewusst und gewollt überschritten hat ... Selbst der Wille, schnell voranzukommen, schließt lediglich fahrlässige Begehungsweise nicht grundsätzlich aus. |
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