Leitsatz (amtlich)

1. Ein Mehrheitsbeschluss über eine bauliche Veränderung, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht, ist jedenfalls dann nicht für ungültig zu erklären, wenn feststeht, dass keiner der Wohnungseigentümer durch die bauliche Veränderung über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus in seinen Rechten beeinträchtigt wird.

2. Zur Frage, ob eine durch nicht genehmigte bauliche Veränderungen eingetretene uneinheitliche Fassadengestaltung den einen Mehrheitsbeschluss anfechtenden Wohnungseigentümer daran hindert, sich auf eine Verschlechterung des optischen Gesamteindrucks zu berufen.

3. Führen bauliche Veränderungen (hier: „integrierte Rollläden” mit Motorantrieb) wegen des unzureichenden Schallschutzes des Gebäudes dazu, die Situation weiter zu verschlechtern, kann dies einen rechtserheblichen Nachteil für andere Wohnungseigentümer begründen.

4. Die Aufgabe des Tatrichters, Sachverständigengutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen, berechtigt ihn nicht, die sachverständigen Äußerungen ohne Darlegung eigener Sachkunde beiseite zu schieben.

 

Normenkette

WEG § 14 Nr. 1, § 22 Abs. 1; FGG §§ 12, 25, 27

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 2 T 62/02)

AG Bad Neuenahr-Ahrweiler (Aktenzeichen 5 UR II 8/00)

 

Tenor

I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG Koblenz zurückverwiesen.

II. Der Gegenstandswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 6.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. In der Versammlung vom 29.1.1993 fassten die Wohnungseigentümer zu Tagesordnungspunkt (TOP) 7a mehrheitlich folgenden – nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Beteiligten zu 2) „rechtskräftigen” – Beschluss:

„Die Eigentümergemeinschaft ermächtigt den Verwalter, auf Antrag einzelner Wohnungseigentümer und in Abstimmung mit mindestens 2 Mitgliedern des Verwaltungsbeirates, die Genehmigung zum Einbau von neuen Fenstern mit Isolierverglasung zu erteilen. Die äußeren Rahmen müssen weiß und die Profile gleich gehalten sein. Die Aufteilung darf nicht geändert werden, es sei denn, dass die Verwaltung aufgrund baulicher oder technischer Erfordernisse dies zulassen sollte. Die Kosten gehen zu Lasten des Antragstellers.”

Am 25.2.2000 beschlossen die Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit zu TOP 5 Folgendes:

„Die Eigentümergemeinschaft genehmigt den jeweiligen Eigentümern der Wohneinheiten 01–06, bei Austausch der Fenster gleichzeitig diese mit integrierten Rollläden zu versehen. Um die Optik nicht zu beeinträchtigen, sind diese farblich gleich zu halten. Der Farbton sollte weiß sein.

Die Kosten des Einbaus sowie der späteren Unterhaltung gehen zu Lasten des jeweiligen Eigentümers.”

Auf den Antrag des Beteiligten zu 1) hat das – sachverständig beratene – AG diesen Beschluss für ungültig erklärt, weil die gem. §§ 22 Abs. 1, 14 WEG erforderliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer nicht vorliege. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das LG den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und den Antrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein über § 14 Nr. 1 WEG hinausgehender Nachteil nicht gegeben sei: Das optische Erscheinungsbild der Wohnungseigentumsanlage werde nur unerheblich beeinträchtigt. Des Weiteren sei eine erhebliche Lärmbelästigung als Folge des Einbaus von Rollläden in den Erdgeschosswohnungen nicht zu erwarten; dies gelte auch dann, wenn die Rollläden mit Motorantrieb versehen würden. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1).

Das Rechtsmittel ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 43 Abs. 1 Nr. 4, 45 Abs. 1 WEG; §§ 29 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 4, 22 Abs. 1 FGG). In der Sache führt die sofortige weitere Beschwerde zu einem vorläufigen Erfolg. Denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG; § 546 ZPO).

1. Rechtsfehlerfrei geht das LG zunächst davon aus, dass hier das Anbringen „integrierter Rollläden” bei einem Austausch der Fenster eine bauliche Veränderung i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 WEG darstellt, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht (vgl. BayObLG DWE 1991, 155 [156]; DWE 1992, 41; OLG Celle v. 25.11.1997 – 4 W 223/97, OLGReport Celle 1998, 62; OLG Düsseldorf v. 10.7.1995 – 3 Wx 99/95, ZMR 1995, 552; WE 2000, 223; s.a. OLG Köln NZM 2001, 53). In einem solchen Fall ist zwar ein Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer – wie er hier gefasst worden ist – weder erforderlich noch ausreichend (BGH v. 18.1.1979 – VII ZB 19/78, BGHZ 73, 196 ff.). Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das LG aber dem Anfechtungsbegehren des Beteiligten zu 1) nicht schon aus formellen Gründen stattgegeben. Denn ein Mehrheitsbeschluss über eine bauliche Veränderung, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder In...

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