Leitsatz (amtlich)

1. Für die Feststellung, ob eine bauliche Veränderung (hier: auf dem Balkon errichteter Glaserker) zu einer nicht ganz unerheblichen nachteiligen Veränderung des architektonischen Erscheinungsbilds eines Gebäudes führt, kann nicht darauf abgestellt werden, ob die Änderung aus bestimmten Positionen, etwa aus dem Sondereigentum des sich gestört fühlenden Wohnungseigentümers, sichtbar ist. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob die Veränderung von außen her generell wahrnehmbar ist.

2. Mehrheitsbeschlüsse zur Zulässigkeit baulicher Veränderungen sind grundsätzlich nicht nichtig. Sie können nur gem. §§ 23 Abs. 4, 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG im Anfechtungsverfahren für ungültig erklärt werden. Ein Beschluss ist jedoch nichtig und entfaltet keine Rechtswirkung, wenn ein Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft bewusst von der Mitwirkung an der Wohnungseigentümerversammlung ausgeschlossen wurde, indem es hierzu nicht geladen worden ist.

 

Normenkette

WEG §§ 14, 22-24, 43

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 2 T 759/01)

AG Altenkirchen (Aktenzeichen 6 II 13/00)

 

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss des LG Koblenz und der Beschluss des AG Altenkirchen vom 9.10.2001 – 6 II 13/00 – werden aufgehoben,

Die Beteiligten zu 2) und 3) werden verpflichtet, den auf dem Ostbalkon im Obergeschoss ihrer Eigentumswohnung in der Wohnungseigentumsanlage … errichteten Glaserker zu beseitigen.

2. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben die Gerichtskosten aller Rechtszüge zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 7.669,38 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten, Wohnungseigentümer der Haushälfte eines Mehrfamilienhauses, streiten über die Pflicht zur Beseitigung eines auf dem Balkon im Obergeschoss errichteten Glaserkers. Der Beteiligten zu 1), Alleineigentümer der anderen Haushälfte, ist bezüglich der gem. § 8 WEG in Wohnungs-, und Teileigentum aufgeteilten Grundstückshälfte Miteigentümer zu 15/100, verbunden mit dem Sondereigentum an zwei abgeschlossenen Kellerräumen. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind gemeinschaftliche Eigentümer eines 31/100 Miteigentumsanteils an dem Grundstück, verbunden mit dem Sondereigentum an der ca. 80 qm großen Wohnung im Obergeschoss, wozu auch ein näher bezeichneter Kellerraum gehört.

Die Gebäudehälften sind – in der Tiefe ca. 1 m versetzt – unmittelbar aneinander gebaut. Sie verfügen über ein gemeinsames Dach und sind sowohl an der Vorder- als auch an der Rückfront optisch aufeinander abgestimmt. Die Balkone des Ober- und Dachgeschosses verlaufen vorn und hinten auf einer Linie über beide Hälften, wobei diejenigen des Obergeschosses sich nahezu über die gesamte Breite des Gebäudes erstrecken. Sie sind jeweils zur Hälfte dem im Alleineigentum des Beteiligten zu 1) stehenden Gebäudeteil und den Wohnungseigentümern der Wohnungen im Ober- und Dachgeschoss der anderen Gebäudehälfte zugeordnet. Der zur Wohnung der Beteiligten zu 2) und 3) gehörende – nach hinten gelegene – Balkon hat eine Fläche von 14 qm, auf der zur versetzten Wand der Nachbarhälfte hin ein 3 qm großer Glaserker errichtet ist. Der Erker besteht im Wesentlichen aus vier in L-Form aufgestellten großflächigen Glasscheiben, die vom Boden des Balkons bis zur Unterseite des darüber liegenden Balkons reichen und durch weiß lackierte Holzteile voneinander getrennt werden.

Vor dem Bau des Erkers befand sich an dieser Stelle spiegelbildlich zur Nachbarhälfte ein zweiflügliges Fenster. Um einen Durchgang von der Wohnung aus zu ermöglichen, sind Teile der Außenfassade entfernt worden. Mit Ausnahme des Beteiligten zu 1) haben alle Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft auf ein Schreiben der Beteiligten zu 2) in ihrer Eigenschaft als damalige Verwalterin vom 17.9.1999 die zur Baugenehmigung vorgelegten Pläne unterschrieben. Am 21.12.1999 fand eine Wohnungseigentümerversammlung statt, zu der der Beteiligte zu 1) nicht eingeladen war und zu der er auch nicht erschienen ist. Im Protokoll der Versammlung ist unter TOP 3 „Verschiedenes” vermerkt:

„3.3 Alle Wohnungseigentümer sind mit dem kleinen Glaserker (3,50 qm Bodenfläche) auf der Ostloggia (Balkon) von I.M. (Wohnung Nr. II) einverstanden und haben das mit ihrer Unterschrift bestätigt.”

Der Beteiligte zu 1) ist erst in der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 15.5.2001 auf die vorgenannte Versammlung und ihr Ergebnis hingewiesen worden. Nach Zustellung des Protokolls hat er sodann die Feststellung beantragt, dass der Beschluss rechtswidrig sei und gleichzeitig um Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nachgesucht.

Das AG hat den Antrag des Beteiligten zu 1), den Balkonausbau/Glaserker auf dem Ostbalkon im Obergeschoss zu beseitigen, zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass zwar eine bauliche Veränderung vorliege, der Beteiligte zu 1) deren Beseitigung aber auf Grund des wirksamen Beschlusses vom 21.12.1999 nicht verlangen könne. Die Anfechtungsfrist sei versäumt. Wiedereinsetzung könne ni...

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