Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Vorrang des vereinfachten Verfahrens bei eingewandter Leistungsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Dem minderjährigen Kind steht die Wahl offen, ob es seinen Unterhalt mit einer Klage auf festen Betrag, Klage auf Prozentsatz des Regelbetrages oder Antrag im vereinfachten Verfahren geltend macht. Ein Vorrang des vereinfachten Verfahrens besteht nicht, wenn der Unterhaltsschuldner mangelnde Leistungsfähigkeit einwendet.

 

Normenkette

ZPO §§ 253, 644-645, 114

 

Verfahrensgang

AG Hagenow (Beschluss vom 05.09.2005; Aktenzeichen 3 F 284/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des AG Hagenow - FamG - vom 5.9.2005, Az: 3 F 284/05 dahingehend abgeändert, dass dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G aus L für die Anträge vom 24.5.2006 in der Haupt- und Eilsache bewilligt wird.

 

Gründe

I. Der minderjährige Kläger begehrt nunmehr ab Juli 2005 einen monatlich im Voraus fälligen Unterhalt i.H.v. 228 EUR abzgl. gewährter monatlicher 151 EUR Unterhaltsvorschussleistungen sowie im Wege der einstweiligen Anordnung einen künftig fällig werdenden Unterhalt i.H.v. monatlich 228 EUR. Der Beklagte behauptet verminderte Leistungsfähigkeit wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II. Das FamG hatte dem Kläger Prozesskostenhilfe versagt unter Hinweis auf die Möglichkeit, die Zahlung von Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages im vereinfachten Verfahren gem. §§ 645 ff. ZPO geltend zu machen. Bezogen auf den Eilantrag fehle ein Anordnungsgrund, da der Kläger einen direkten Anspruch gegen die zuständige Stelle für Unterhaltsvorschussleistungen habe, wodurch mangels Dringlichkeit eine Regelung über eine einstweilige Anordnung nicht nötig scheine.

II. Auf die zulässige und begründete Beschwerde des Klägers ist ihm wegen §§ 114, 127 Abs. 2, 567, 568 Abs. 1, 572 ZPO i.V.m. §§ 253, 645 ZPO, 1603 Abs. 2 Satz 1, 1610 BGB Prozesskostenhilfe für die geänderten Anträge vom 24.5.2006 zu bewilligen.

Grundsätzlich hat ein minderjähriges Kind drei Möglichkeiten seinen Unterhalt gerichtlich geltend zu machen: Klage auf festen Betrag, Klage auf Prozentsatz des Regelbetrages, Antrag im vereinfachten Verfahren. Dabei steht dem Kläger die Wahl offen, ob er das vereinfachte Verfahren oder das Klageverfahren betreibt. Vorliegend kann dahinstehen, ob bei der Wahl beider Verfahrensarten ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe besteht (so OLG Naumburg, Beschl. v. 25.3.1999 - 3 WF 22/99; OLG Köln, Beschl. v. 5.11.2001 - 21 WF 208/01, OLGReport Köln 2002, 58) oder für eine reguläre Unterhaltsklage anstelle des vereinfachten Verfahrens grundsätzlich nicht bewilligt wird (OLG Hamm, Beschl. v. 9.2.1999 - 2 WF 17/99). Auch das OLG Hamm sieht mit seiner Entscheidung einen Vorrang des vereinfachten Verfahrens nach § 645 ff. ZPO nicht, wenn die Parteien im Wesentlichen über Rechtsfragen und nicht über die Höhe des Einkommens des Beklagten streiten, da in diesem Falle das vereinfachte Verfahren weder schneller noch billiger ist.

Die vom Kläger gewählte Verfahrensart ist im Rahmen der beantragten Prozesskostenhilfe nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat vorprozessual eingewandt, er könne nicht mehr zahlen, er bezöge Arbeitslosengeld II. Bei dieser Fallgestaltung bietet das vereinfachte Verfahren vorausschauend keine Vorteile gegenüber einer regulären Unterhaltsklage. Mit der Erhebung vorgenannter Einwendung ist nämlich zu rechnen. In dieser Sache geht es vorhersehbar um Rechtsfragen, insb. die Bewertung der Leistungs(un)fähigkeit und Erwerbsobliegenheit, die Zurechnung eines fiktiven Einkommens oder die Höhe des Selbstbehaltes des Unterhaltsverpflichteten. Bei dieser Sachlage ist das vereinfachte Verfahren weder billiger noch schneller noch aus Beweisgründen günstiger für den Kläger.

Da der Kläger Ansprüche auf Unterhalt in Höhe des Regelbetrages durchsetzen möchte, hilft ihm nicht einmal die den Unterhaltspflichtigen im vereinfachten Verfahren ggf. nach § 648 Abs. 2 Satz 3 ZPO treffende Auskunftspflicht.

Der Kläger begehrt den Mindestbedarf in Höhe des Regelbedarfs abzgl. der gem. § 7 UVG an den Unterhaltsvorschussträger übergegangenen Leistungen. Er hat damit lediglich seine Bedürftigkeit nachzuweisen. Der Beklagte muss seine behauptete Leistungsunfähigkeit nachweisen (vgl. Hoppenz/Hülsmann, Familiensachen, 8. Aufl., § 1610 BGB Rz. 18, 39, § 1603 BGB Rz. 31; Weinreich/Klein, Familienrecht, 2. Aufl., § 1603 Rz. 124). Insofern ist der Kläger berechtigt, im Klageverfahren zur Hauptsache seinen Unterhaltsanspruch i.H.v. 100 % des jeweiligen Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe abzgl. des gem. § 1612b Abs. 5 BGB anrechenbaren Kindergeldes insoweit geltend zu machen, als kein Anspruchsübergang gem. § 7 UVG bereits stattgefunden hat.

Im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens ist dem Kläger auch Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte einstweilige Anordnung gem. § 644 ZPO zu bewilligen.

Er hat seinen Unterhaltsanspruch schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht. Eine Notsituation ist (anders...

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