Recht Unterhaltsverpflichteter auf Erstausbildung beschränkt

Das Recht eines zur Zahlung von Mindestunterhalt Verpflichteten auf Durchführung einer Erstausbildung ist gegenüber minderjährigen Kindern dann eingeschränkt, wenn der Unterhaltspflichtige seit Jahren als ungelernte Kraft tätig ist.

Das OLG Bamberg hat einem zur Zahlung des Mindestunterhalts verpflichteten 45-jährigen Vater das Recht zur Durchführung einer Erstausbildung verweigert, weil der Unterhaltsverpflichtete über viele Jahre als ungelernte Kraft tätig war und es ihm deshalb zuzumuten sei, seinen Wunsch nach einer Berufsausbildung bis zur Volljährigkeit seiner unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder zurückzustellen.

Unterhaltsklage der minderjährigen Söhne

Die beiden bei der Mutter lebenden minderjährigen Söhne hatten ihren Vater gerichtlich auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommen. Das Familiengericht hatte den seit mehreren Jahren für eine Leiharbeitsfirma tätigen Kindesvater, der über keine Berufsausbildung verfügte zur Zahlung des Mindestunterhalts verurteilt. Das monatliche durchschnittliche Nettoeinkommen des Kindesvaters betrug bei 161 Arbeitsstunden monatlich knapp 1.300 Euro.

Leistungsfähigkeit des Kindesvaters vermutet

Das Familiengericht hatte die Leistungsfähigkeit zur Zahlung des Mindestunterhalts gemäß §§ 1601, 1612a BGB vermutet. Gemäß § 1603 Abs. 1, Abs. 2 BGB treffe den Kindesvater gegenüber seinen minderjährigen Kindern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. D.h. den Kindesvater treffe die Darlegungs- und Beweispflicht, alles in seiner Macht Stehende unternommen zu haben, eine höher bezahlte Arbeitsstelle zu finden, um damit seinen Unterhaltspflichten besser nachkommen zu können. Außerdem sei es ihm zumutbar, durch Aufnahme einer Nebentätigkeit wöchentlich bis zu 48 Stunden zu arbeiten. Der Kindesvater habe vor Gericht nicht dargetan, entsprechende Bemühungen unternommen zu haben.

Berufsausbildung mit geringer Ausbildungsvergütung aufgenommen

Der Kindesvater hat beim OLG Beschwerde gegen seine durch das Familiengericht ausgesprochene Verpflichtung zur Zahlung des Mindestunterhalts an seine minderjährigen Söhne eingelegt. Seine Einwendungen gegen die Verurteilung zur Unterhaltszahlung betrafen neben

  • gesundheitlichen Aspekten und
  • infolge der bisher fehlenden Berufsausbildung stark eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten
  • eine im Verlauf des Unterhaltsrechtsstreits von ihm begonnene Berufsausbildung mit einer nur bescheidenen Ausbildungsvergütung.

Unterhaltsberechnung auf Grundlage fiktiven Einkommens

Hinsichtlich der Höhe der vom Familiengericht festgesetzten Unterhaltsverpflichtungen hatte seine Beschwerde teilweise Erfolg. Wie schon das Familiengericht unterstellte aber auch das OLG die grundsätzliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Auf Grundlage der gemäß § 1603 Abs. 1 und Abs. 2 BGB gesteigerten Erwerbsobliegenheit gegenüber seinen minderjährigen Kindern vermutete auch das OLG, dass der Beschwerdeführer bei äußerster Anstrengung in der Lage sei, ein höheres monatliches Nettoeinkommen zu erzielen und berechnete den Unterhalt auf der Grundlage des fiktiv zu erzielenden höheren monatlichen Einkommens.

Grundsatz des Vorrangs einer Erstausbildung

Die seitens des Beschwerdeführers am 1.9.2021 begonnene Berufsausbildung berücksichtigte das OLG bei der Unterhaltsberechnung nicht. Insoweit stellte der Senat allerdings klar, dass nach der Rechtsprechung des BGH einer Erstausbildung des Unterhaltsverpflichteten auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB der Vorrang einzuräumen sei. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf Bestandteil des eigenen Lebensbedarfs des Unterhaltspflichtigen, den dieser vorrangig befriedigen darf (BGH, Urteil v. 15.12.1993, XII ZR 172/92).

Vorrang der Erstausbildung gilt nicht immer

Auch nach der Rechtsprechung des BGH sind insoweit allerdings die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hierzu gehört u.a. die Frage, warum der Unterhaltspflichtige gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Erstausbildung beginnt und durchführt und in welcher Weise sich dies langfristig auf seine Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den Kindesunterhalt auswirkt. Im Fall einer 30-jährigen, zuvor als Taxifahrerin arbeiteten unterhaltspflichtigen Kindesmutter, hat der BGH die Aufnahme einer Erstausbildung zur Einzelhandelskauffrau als noch angemessen gewertet (BGH, Urteil v. 4.5.2011, XII ZR 70/09).

Verschiebung der Ausbildung für Beschwerdeführer zumutbar

Im Bamberger Fall des 45-jährigen Beschwerdeführers hat das OLG die Aufnahme der Berufsausbildung während der Anhängigkeit der Unterhaltsstreitigkeit als nicht angemessen bewertet. Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, dass die Aufnahme der Ausbildung seine Einkommenschancen auf dem Arbeitsmarkt künftig nachhaltig verbessern würden. Der Beschwerdeführer sei seit vielen Jahren als ungelernte Kraft tätig. Deshalb sei es für ihn zumutbar, die Aufnahme einer Berufsausbildung bis zur Volljährigkeit seiner minderjährigen Kinder zu verschieben.

Berufung auf Recht zur Erstausbildung versagt

Mit diesen Argumenten hat der Senat dem Beschwerdeführer die Berufung auf sein vorrangiges Recht zur Erstausbildung versagt und seine Beschwerde insoweit abgewiesen.


(OLG Bamberg, Beschluss v. 9.2.2022, 7 UF 196/21)