Entscheidungsstichwort (Thema)

Widereinsetzung und Erfordernis einer Vorfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine spezielle Anweisung, eine Handlung sofort vorzunehmen, ist geeignet, den Rechtsanwalt und damit auch die Partei zu entschuldigen und geht grundsätzlich allgemeinen Organisationsanweisungen vor.

2. Hat der Rechtsanwalt eine Einzelanweisung getroffen, dass die von ihm beauftragte und stets zuverlässige Bürokraft eine Tätigkeit sofort und vor der Erledigung aller anderen Arbeiten auszuführen hat, muss er die Umsetzung dieser Anweisung nicht mehr kontrollieren.

3. Zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei gehört die allgemeine Anordnung, dass bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden muss, die regelmäßig eine Woche zu betragen hat.

4. Für eine anwaltliche Versicherung ist neben einer eidesstattlichen Versicherung der Rückgriff auf eine anwaltliche Versicherung, das heißt die auf standesrechtlichen Pflichten beruhende Versicherung der Richtigkeit einer Tatsache, zulässig, wenn diese unter Bezugnahme auf die standesrechtlichen Pflichten erfolgt.

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Aktenzeichen 6 O 216/18)

 

Tenor

1. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers zu 3) wird zurückgewiesen.

2 .Der Senat beabsichtigt die Berufung des Klägers zu 3) aufgrund der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger zu 3) erhält Gelegenheit, hierzu binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Kläger zu 3) wendete sich erstinstanzlich neben den Klägern zu 1), 2) und 4) bis 6) mit einer Drittwiderspruchsklage gegen die Durchführung eines Teilungsversteigerungsverfahrens zur Auflösung einer Erbengemeinschaft. Das Landgericht Stralsund hat diese mit Urteil vom 08.04.2019 betreffend die Kläger zu 1), 2) sowie 4) bis 6) mangels erteilter Prozessvollmacht als unzulässig und betreffend den Kläger zu 3) als unbegründet abgewiesen.

Der Kläger zu 3) hat gegen dieses Urteil unter Wechsel seiner Prozessbevollmächtigten fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief unter Berücksichtigung der Pfingstfeiertage am 11.06.2019 ab. Eine Berufungsbegründungsschrift ging bis zum Ablauf dieses Tages nicht beim Oberlandesgericht ein.

Stattdessen beantragte der Kläger zu 3) mit Schriftsatz vom 02.07.2019 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und kündigte an, die Berufungsbegründungsschrift bis zum 12.07.2019, dem Tag des Ablaufes der Wiedereinsetzungsfrist, zu Gericht zu reichen. Die Berufungsbegründung vom 11.07.2019 ist am gleichen Tage bei Gericht eingegangen.

Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe weder auf dem eigenen Verschulden des Klägers, noch auf dem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten.

Das angefochtene Urteil sei den vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10.04.2019 zugestellt worden. Somit wäre die Berufungsbegründungsfrist am 11.06.2019, Dienstag nach Pfingsten, abgelaufen. Nach fristgerechter Einlegung der Berufung wurde die Begründung nicht bis zum 11.06.2019 bei Gericht eingereicht. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist habe dabei weder auf einem Verschulden des Klägers noch seiner Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem nicht erwartbaren und im Nachhinein unerklärlichen Fehler der zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten beruht.

In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten, die in der Berufungsinstanz die Vertretung des Klägers zu 3) übernommen haben, würden die Akten einschließlich der Termins- und Fristenkalenders vollständig digital mit dem Programm "WinMacs" der FA Rummel AG geführt, wobei das Programm die Funktionalitäten einer herkömmlichen Papierakte digital abbilde. In der Kanzlei seien überdies organisatorische Maßnahmen zur Meidung von Fehlern bei der Fristennotierung und zur Fristenkontrolle implementiert, die den Anforderungen der Rechtsprechung an die Fristenorganisation genügen, auf deren Darlegung im Einzelnen durch den Kläger zu 3) verzichtet werde, da dies für die Fristversäumung nicht ursächlich gewesen sei.

Für das Dezernat der Prozessbevollmächtigten des Klägers sei in ihrer Kanzlei die ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und geprüfte Rechtsfachwirtin N. M. tätig. Neben der Tätigkeit für das Dezernat seiner Prozessbevollmächtigten sei Frau M auch für die Betreuung der Kanzleitechnik und damit auch für die Implementierung des elektronischen Rechtsverkehrs zuständig. Seit Frühjahr 2019 sei dabei in der Kanzlei damit begonnen worden, gerichtliche Schriftsätze (auch) mit qualifizierter elektronischer Signatur über beA/EGVP zu versenden. Anfangs sei dies zur Sicherheit zusätzlich per Telefax erfolgt.

Am 10.05.2019 gegen 13.00 Uhr habe sich Frau M. mit der vorbereiteten Berufungsschrift in das Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 3) begeben....

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