Leitsatz (amtlich)

a) Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis für eine Urteilszustellung erst unterzeichnen, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.

b) Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen müssen so notiert werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben.

 

Normenkette

ZPO § 233 Fb, § 233 Fc, § 233 Fd

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 06.02.2019; Aktenzeichen 1 U 87/18)

LG Osnabrück (Urteil vom 09.11.2018; Aktenzeichen 1 O 1530/18)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 6.2.2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerde wird auf 25.420,71 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger ist Verwalter in dem über das Vermögen der K. GmbH am 23.12.2015 eröffneten Insolvenzverfahren. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt er gestützt auf §§ 133, 134 InsO von der Beklagten die Rückzahlung eines Betrages i.H.v. 25.420,71 EUR.

Rz. 2

Das LG hat die Klage durch Urteil vom 9.11.2018 abgewiesen, das dem Kläger am 19.11.2018 zugestellt worden ist. Der Kläger hat dagegen mit am 10.12.2018 bei dem OLG eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach gerichtlichem Hinweis vom 23.1.2019 über die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger am 28.1.2019 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und am 30.1.2019 die Berufung begründet.

Rz. 3

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger geltend gemacht, nach Eingang des erstinstanzlichen Urteils seien Einlegungs- und Begründungsfrist nebst Vorfristen in der Handakte zutreffend notiert worden. Im Kalender sei es durch Verschulden der sonst zuverlässigen Mitarbeiterin zu einem Übertragungsfehler gekommen, weil die Frist zutreffend für den 21.1.2019 eingetragen worden, aber als Gegner die Partei aus einer Parallelangelegenheit bezeichnet worden sei. Diese Frist sei am 21.1.2019 auf Veranlassung des Prozessbevollmächtigten gestrichen worden, weil der Kläger in der Parallelsache voll obsiegt habe.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.

Rz. 6

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Rz. 7

Der Prozessbevollmächtigte dürfe das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt sei, dass in der Handakte die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt sei, dass die Frist im Fristenkalender notiert sei. Der Klägervertreter zeige weder auf, dass die Frist im Kalender und in der Handakte vermerkt sei, noch dass er die Eintragungen durch Einzelanweisungen veranlasst habe. Es fehle zudem jeglicher Vortrag zu einer Kontrolle der Fristnotierung im Kalender.

Rz. 8

Zudem müssten Rechtsmittelbegründungsfristen im Kalender so notiert werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abhöben. Die vorliegende Berufungsbegründungsfrist sei in derselben Spalte wie Vorfristen notiert worden, ohne sie in geeigneter Weise gegenüber anderen Fristen hervorzuheben.

Rz. 9

Schließlich hätte der Klägervertreter bei Ablauf der Vorfrist am 14.1.2019, spätestens am 21.1.2019 als Tag des Fristablaufs erkennen müssen, dass der Fristablauf bevorstehe. In der fälschlicherweise vorgelegten Sache sei, weil der Kläger obsiegt habe, die Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist nicht veranlasst gewesen. Die gleichwohl erfolgte Eintragung hätte dem Klägervertreter Veranlassung zu Nachforschungen bei der zuständigen Mitarbeiterin geben müssen, wie es zu dem fehlerhaften Eintrag gekommen sei.

Rz. 10

Das Verschulden des Klägervertreters sei für die Versäumung der Frist auch ursächlich. Die Berufungsbegründung wäre rechtzeitig eingelegt worden, wenn der Klägervertreter durch entsprechende Einzelanweisung, geeignete Kontrollen und die separate Notierung von Not- und Promptfristen geeignete Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders und die Vorlage der richtigen Akte getroffen und zudem bei Ablauf der Vorfrist bzw. der Berufungsbegründungsfrist Nachforschungen zu den Ursachen des fehlerhaften Fristeintrags im Parallelverfahren angestellt hätte.

Rz. 11

2. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt sind und ein Zulässigkeitsgrund i.S.d. § 574 Abs. 2 ZPO nicht durchgreift. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch den Kläger beruht auf dem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Rz. 12

a) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat pflichtwidrig das Empfangsbekenntnis erteilt, ohne dass die Notierung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender gesichert war.

Rz. 13

aa) Zur Bestimmung des Beginns einer Rechtsmittelfrist ist es erforderlich, das dafür maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu ermitteln und festzuhalten. Im Falle der Zustellung eines Schriftstücks an den Prozessbevollmächtigten der Partei nach § 174 ZPO kommt es für den Fristbeginn darauf an, wann der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat. Deshalb bedarf es eines besonderen Vermerks in den Handakten, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Um zu gewährleisten, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebende Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des BGH das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436; v. 12.1.2010 - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rz. 9; v. 2.2.2010 - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rz. 6). Die Handakte muss durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lassen, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (BGH, Beschl. v. 23.1.2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rz. 10; vom 26.11.2013 - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rz. 9). Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört daher eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in einen Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (BGH, Beschl. v. 26.11.2013, a.a.O., Rz. 10).

Rz. 14

bb) Diesen Anforderungen ist im Streitfall nicht genügt. In der Handakte wurde lediglich die Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist festgehalten. Es fehlt indessen an dem außerdem in der Handakte vorzunehmenden Vermerk, dass die Frist auch im Fristenkalender eingetragen worden ist (BGH, Beschl. v. 23.1.2013, a.a.O.; Beschluss vom 26.11.2013, a.a.O., Rz. 9). Der Klägervertreter hatte entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Frist neben der Handakte auch in dem Kalender - zutreffend - verzeichnet worden war. Die Wiedergabe der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist in der Handakte dokumentiert entgegen der Rüge nicht ihre Notierung im Fristenkalender. Hierfür bedurfte es eines - tatsächlich fehlenden - eigenständigen Vermerks. Zudem kann dem Wiedereinsetzungsbegehren nicht entnommen werden, dass die Anweisung bestand, zuerst die Fristen im Kalender einzutragen, bevor ein Vermerk in der Akte erfolgt (BGH, Beschl. v. 26.11.2013, a.a.O., Rz. 10). Da in der Handakte das Ende der Berufungsbegründungsfrist zunächst für den 19.1.2019 festgehalten und sodann auf den 21.1.2019 korrigiert wurde, bestanden für den Prozessbevollmächtigten konkrete Zweifel, ob das Fristende zuvor zutreffend im Fristkalender dokumentiert worden war.

Rz. 15

b) Zudem hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht den anwaltlichen Pflichten im Zusammenhang mit der für die Berufungsbegründung notierten Vorfrist genügt.

Rz. 16

aa) Ein Rechtsanwalt muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Dazu gehört nach feststehender Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, dass jedenfalls bei Prozesshandlungen wie einer Berufungsbegründung, deren Vornahme nach ihrer Art mehr als nur einen geringfügigen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, außer dem Datum des Fristablaufs auch noch eine Vorfrist zu vermerken ist. Sie soll bewirken, dass dem Rechtsanwalt durch rechtzeitige Vorlage der Akten auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit verbleibt (BGH, Beschl. v. 27.5.1997 - VI ZB 10/97, NJW 1997, 2825, 2826). Wenn ihm die Akten auf Vorfrist vorgelegt werden, hat der Rechtsanwalt Anlass zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten ist (BGH, Beschl. v. 17.6.1999 - IX ZB 32/99, NJW 1999, 2680).

Rz. 17

bb) Im Streitfall ist ausweislich der Handakte pflichtgemäß eine Vorfrist für die Berufungsbegründung auf den 14.1.2019 notiert worden. Es fehlt jedoch an jeder Darlegung, ob die Akten dem Klägervertreter an diesem Tag vorgelegt wurden (BGH, Beschl. v. 27.5.1997, a.a.O.) und er die gebotene Prüfung (BGH, Beschl. v. 17.6.1999, a.a.O.) vorgenommen hat. Ist die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung gegeben, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (BGH, Beschl. v. 18.10.1995 - I ZB 15/95, NJW 1996, 319). Fehlende Angaben deuten angesichts der den Anwälten bekannten Pflichtenlage nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlauben den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschl. v. 26.11.2013 - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rz. 12).

Rz. 18

c) Schließlich fehlt es an der gebotenen Hervorhebung der Rechtsmittelbegründungsfristen in dem Fristenkalender.

Rz. 19

aa) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden müssen, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben. Insoweit kommen besondere Spalten für Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sowie eine farbliche Kennzeichnung bestimmter Sachen in Betracht (BGH, Beschl. v. 29.7.2004 - III ZB 27/04, NJW-RR 2005, 215).

Rz. 20

bb) Diesen organisatorischen Vorkehrungen wurde nicht genügt. Es fehlt an einer deutlichen Hervorhebung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen. Im Kalender des Prozessbevollmächtigten des Klägers wurden sämtliche Fristen in gleicher Weise festgehalten. Eine geringe Anzahl zu beachtender Fristen mag die Anforderungen an die Hervorhebung mildern, gestattet indessen nicht, darauf - wie im Büro des Klägervertreters - völlig zu verzichten (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 84/88, NJW 1989, 2393, 2394 f.). Die deutliche Hervorhebung wichtiger Fristen ist zur Vermeidung von Unklarheiten grundsätzlich ständig und ohne Rücksicht darauf, wie viele weitere Fristen eingetragen sind, zu beachten.

Rz. 21

d) Liegen - wie im Streitfall - mehrere Pflichtverletzungen vor, kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass sie sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt haben können (BGH, Beschl. v. 21.9.2000 - IX ZB 67/00, NJW 2000, 3649, 3650). Besteht hingegen die Möglichkeit, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht, scheidet eine Wiedereinsetzung aus (BGH, Beschl. v. 9.5.2019 - IX ZB 6/18, NJW 2019, 2028 Rz. 16). Im Streitfall liegt es nahe, dass die Fristversäumung auf dem festgestellten Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht.

Rz. 22

aa) Wäre das Empfangsbekenntnis erst nach Anfertigung des Vermerks über das Datum der Unterzeichnung und Festhaltung der Rechtsmittelfrist auch im Fristenkalender zurückgesandt worden, ist davon auszugehen, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt worden wäre (BGH, Beschl. v. 12.1.2010 - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rz. 11). Der Prozessbevollmächtigte hätte mangels eines Vermerks in der Handakte die Eintragung der zutreffenden Frist im Kalender veranlassen müssen. Dann wäre bei unterstellt im Übrigen ordnungsgemäßem Vorgehen die Berufungsbegründung rechtzeitig eingelegt worden (BGH, Beschl. v. 26.11.2013 - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rz. 13).

Rz. 23

bb) Ebenso hätte eine Fristprüfung bei Vorlage der Akte auf die Vorfrist die Fristversäumung verhindert. Die Eintragung der Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschl. v. 24.1.2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rz. 13). Wären die Akten an dem für die Vorfrist eingetragenen Tag dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegt worden, so hätte dieser bei Erfüllung seiner mit der Aktenvorlage an ihn entstehenden Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung anhand des fehlenden Erledigungsvermerks festgestellt, dass die Berufungsbegründungsfrist vom Büropersonal falsch eingetragen war. Dann hätte er bis zum Fristablauf entweder die Berufung begründen oder rechtzeitig eine Fristverlängerung beantragen können (BGH, Beschl. v. 6.7.1994 - VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551, 2552). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte die Sache, wenn er sie nicht sofort bearbeitet, für den letzten Tag wieder auf Frist legen können. Dann wäre ebenfalls aufgefallen, dass infolge der Verwechslung mit dem Parallelverfahren eine fehlerhafte Frist notiert worden war (BGH, Beschl. v. 17.6.1999 - IX ZB 32/99, NJW 1999, 2680).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13416372

NJW 2019, 3234

NJW 2019, 8

NWB 2019, 3128

FamRZ 2019, 1881

FA 2019, 381

JurBüro 2020, 111

WM 2020, 855

ZAP 2019, 1169

AnwBl 2019, 687

JZ 2019, 755

MDR 2019, 1397

MDR 2019, 1493

ErbR 2020, 65

NJW-Spezial 2019, 734

RENOpraxis 2019, 294

BRAK-Mitt. 2019, 295

Mitt. 2019, 527

Mitt. 2020, 46

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