Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung bei Kollision während des Überholens einer Fahrzeugkolonne

 

Normenkette

StVO § 5 Abs. 2, 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 1; StVG § 17 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Urteil vom 11.10.2016; Aktenzeichen 31 O 266/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers vom 15.01.2016 wird das Endurteil des LG Deggendorf vom 11.10.2016, Az.: 31 O 266/16, abgeändert und wie folgt neugefasst:

1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger 6.320,96 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30.06.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger samtverbindlich von der Inanspruchnahme durch die Kanzlei Rechtsanwälte P. und W., P., bezüglich vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz) tragen der Kläger 1/5 und die Beklagten samtverbindlich 4/5.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I. Wie vom Senat bereits mit Verfügung vom 21.12.2016 ausgeführt, gilt Folgendes:

1.) Zur Haftungsverteilung:

Ausgehend von den vom Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellten und daher den Senat gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindenden Tatsachen ist weder eine Haftungsverteilung im Verhältnis 60: 40 zulasten der Beklagten (so das Erstgericht) noch eine solche im Verhältnis 100: 0 zulasten der Beklagten (so der Kläger und Berufungskläger) zutreffend, sondern eine solche von 80: 20 zulasten der Beklagten. Denn während der Beklagten zu 1) ein Verschulden an dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall nachgewiesen worden ist, ist dem Kläger kein Verschulden nachgewiesen worden. Allerdings tritt die allgemeine, mit 20 % zu bewertende Betriebsgefahr des klägerischen Pkws nicht zurück. Im Einzelnen:

a) Der Beklagten zu 1) ist ein Verschulden am streitgegenständlichen Verkehrsunfall nachgewiesen worden, nämlich ein Verstoß gegen das in § 5 IV 1 StVO normierte Gebot, sich beim Überholen so zu verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob sie gegen dieses Gebot dadurch verstoßen hat, dass sie sich schlicht nicht hinreichend vergewissert hatte, dass sie zum Überholen ausscheren konnte, ohne den nachfolgenden Verkehr zu gefährden, worauf die klägerische Version vom Unfallhergang hindeutet, oder ob es so war, wie sie selbst vorgetragen hat, dass sie nämlich den bereits im Überholvorgang befindlichen klägerischen Pkw erkannt hatte und gleichwohl - unter grober Verkennung der Umstände - nach links ausscherte, um noch vor dem klägerischen Pkw ihrerseits das erste Fahrzeug der Kolonne zu überholen.

b) Entgegen den Ausführungen im Ersturteil ist demgegenüber dem Kläger kein Verschulden nachgewiesen worden. Soweit das Erstgericht ein solches in einem vermeintlichen Verstoß des Klägers gegen das in § 5 III Nr. 1 StVO normierte Verbot, bei unklarer Verkehrslage zu überholen, sieht und dies damit begründet, dass es angesichts der Gesamtumstände (erlaubte 100 km/h, ungehinderte Sicht nach vorne, kein Gegenverkehr, Geschwindigkeit des vordersten Fahrzeugs nur 80 km/h) "überaus nahe" gelegen habe, dass auch weitere in der Kolonne fahrende Fahrzeugführer zum Überholen ansetzen würden, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung, wonach das Überholen einer Kolonne als solches noch keinen Fall des Überholens bei unklarer Verkehrslage darstellt, sondern dass dafür besondere Umstände hinzukommen müssen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 5 StVO, Rdnr. 34 m.w.N.). Die o.g. vom Erstgericht genannten Umstände stellen keinesfalls solche besonderen Umstände dar. Anders würde es sich beispielsweise verhalten, wenn - wie in dem vom Senat mit Urteil vom 09.04.2010, Az.: 10 U 4406/09, juris, entschiedenen Fall - die zu überholenden Fahrzeuge langsamer werden und nach links blinken oder - wie in dem vom OLG Karlsruhe mit Urteil vom 26.07.2001, Az.: 9 U 195/00, NZV 2001,473, entschiedenen Fall - die Kolonne nur mit ca. 25 km/h fährt und ein Überholen zuvor durch eine durchgezogene gerade Linie auf der Fahrbahnmitte untersagt war.

Ergänzend hierzu ist im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten im Berufungserwiderungsschriftsatz vom 19.01.2017 Folgendes zu bemerken: Widersprüchlich ist die Auffassung der Beklagten, wonach es einerseits das Erstgericht nicht verkannt habe, dass das Überholen einer Kolonne nicht verboten ist, es andererseits für die Beklagten nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Senat von seiner Ansicht ...

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