Wann darf man eine Fahrzeugschlange vor einer Ampel überholen?

Eine Autofahrerin überholte auf einer Landstraße eine Fahrzeugschlange, die sich hinter einem liegengebliebenen Lieferwagen, kurz vor einer Ampel gebildet hatte. Dabei kam es zu einer Kollision mit einer Suzuki-Fahrerin, die aus der Schlange ausscherte, um den Lieferwagen zu überholen.
Das Amtsgericht Homburg hatte die Schadensersatzklage der Suzuki-Fahrerin abgewiesen, bei der es das alleinige Verschulden für den Unfall gesehen hatte. Sie habe beim Ausscheren gegen § 6 Abs. 2 StVO verstoßen. Das Landgericht Saarbrücken kam zu einer anderen Einschätzung.
Grundsätzlich gilt: Überholverbot bei unklarer Verkehrslage
Es spreche einiges dafür, dass für die Überholende die Verkehrslage unklar war und deshalb von einem Überholverbot auszugehen sei. Eine unklare Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt immer dann vor, wenn nach allen objektiven Umständen nicht mit einem gefahrlosen Überholen gerechnet werden dürfe. Für die Überholende sei das weitere Fahrverhalten der hinter dem stehenden Lieferwagen stehenden Fahrzeuge nicht zuverlässig einzuschätzen gewesen.
Überholen einer Fahrzeugschlange erfordert besondere Sorgfalt
Aber selbst, wenn man annehme, dass es in der Situation grundsätzlich zulässig gewesen sei, die Fahrzeugschlange zu überholen, habe die Überholende gegen ihre Pflichten aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen.
Beim Überholen hätte die Autofahrerin nämlich mit besonderer Vorsicht fahren müssen. Schließlich hätte sie damit rechnen müssen, dass von den objektiv nur verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen das Fahrzeug der Klägerin ausscheren könnte, um an dem vor ihr stehenden Lieferwagen vorbeizufahren, sobald die Ampel auf Grün springen würde.
Dies habe die Überholende aber nicht getan. Vielmehr habe sie nach eigener Aussage mit dem Überholen begonnen, ohne hinter der Fahrzeugschlange bzw. dem klägerischen Fahrzeug anzuhalten. Deshalb habe sie auch nicht feststellen können, mit welchem weiteren Fahrverhalten der Fahrzeuge zu rechnen war.
Wer aus einer Schlange ausschert, muss auf den nachfolgenden Verkehr achten
Das Gericht sah bei beiden Seiten einen Verkehrsverstoß. Die Klägerin sei nach links ausgeschert, ohne in ausreichendem Maße auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Die andere Autofahrerin wiederum habe überholt, ohne sich zuvor über die Verkehrssituation informiert zu haben.
Hälftige Haftungsverteilung
Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG eine hälftige Haftungsverteilung für angemessen.
(LG Saarbrücken, Urteil v. 20.01.2023, 13 S 74/22)
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