Leitsatz (amtlich)

Ist das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren erstinstanzlich durch die Aufnahme beschränkender Merkmale teilweise für nichtig erklärt worden, führt dies im Berufungsverfahren gegen das Verletzungsurteil grundsätzlich zur Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn die Verwirklichung dieser Merkmale im Verletzungsverfahren nicht erstinstanzlich festgestellt wurde. Anders liegt es allenfalls dann, wenn die Verwirklichung der hinzugefügten Merkmale bei summarischer Prüfung "offensichtlich" ist bzw. "klar auf der Hand liegt".

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, den Einstellungsbeschluss vom 23. Mai 2017 wegen veränderter Umstände aufzuheben, wird abgelehnt.

 

Gründe

I. Die Beklagten sind durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 20. Oktober 2016 (2 O 114/15) wegen (mittelbarer) Verletzung des Verfahrensanspruchs 1 sowie wegen Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 12 des Klagepatents EP 1 697 061 zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf aus den Vertriebswegen und Vernichtung verurteilt. Dagegen wenden sie sich mit ihrer zulässigen Berufung, über die noch nicht entschieden ist.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2017 hat der Senat die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil im Umfang der Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt. Dem vorausgegangen war ein Hinweis des Bundespatentgerichts nach § 83 PatG, wonach die Ansprüche 1 und 12 des Klagepatents bei vorläufiger Würdigung nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten.

Mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 28. Juni 2017 (Anlage B 18) hat das Bundespatentgericht das Klagepatent in eingeschränkter Fassung aufrecht erhalten. Danach sind das erfindungsgemäße Verfahren und die erfindungsgemäße Vorrichtung zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass bei dem Verlauf der Kleberspur von einer Kamera zur nächsten automatisch umgeschaltet wird, wenn die Kleberspur von dem Segment der Kreisbahn einer Kamera über den Überlappungsbereich in das Segment der Kreisbahn einer anderen Kamera verläuft (früher: Unteranspruch 9).

Die Klägerin beantragt nunmehr, den Einstellungsbeschluss vom 23. Mai 2017 wegen veränderter Umstände aufzuheben.

Sie meint, das neu hinzugekommene Merkmal sei bei der angegriffenen Ausführungsform offenkundig verwirklicht.

Die Beklagte bestreitet dies und verteidigt den Einstellungsbeschluss vom 23. Mai 2017 als nach wie vor richtig.

II. Der zulässige Antrag der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist auch in dem nunmehr erreichten Sach- und Streitstand gerechtfertigt.

1. Ist das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren durch das Patentgericht erstinstanzlich für nichtig erklärt worden, führt dies grundsätzlich zur Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung aus dem Verletzungsurteil, weil damit der diesem Urteil zu Grunde liegenden Einschätzung, die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, die Grundlage entzogen ist (vgl. für das Revisionsverfahren: BGH, Beschlüsse vom 16. September 2014 - X ZR 61/13, Rn. 7 ff. - Kurznachrichten; vom 12. September 2016 - X ZR 14/15, Rn. 5 - Mähroboter). Im Grundsatz gilt dies auch, wenn das Klagepatent nur teilweise durch die Aufnahme beschränkender Merkmale für nichtig erklärt wurde und die Verwirklichung dieser Merkmale nicht erstinstanzlich festgestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2016 - X ZR 14/15, Rn. 6 - Mähroboter). Denn schon dann kann das erstinstanzliche Urteil mit der gegebenen Begründung nicht aufrecht erhalten werden und deshalb nicht die Richtigkeitsgewähr genießen, die seine vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigt. Alternative Begründungen haben deshalb in einstweiligen Einstellungsverfahren grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Anders liegt es allenfalls dann, wenn die Verwirklichung des hinzugefügten Merkmals bei summarischer Prüfung "offensichtlich" ist bzw. "klar auf der Hand liegt" (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 6 U 118/14, juris Rn. 12 - Leiterbahnstrukturen; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 13. Januar 2016 - I-15 U 66/15, juris Rn. 5 = NZKart 2016, 139; vom 9. Mai 2016 - I-15 U 35/16, juris Rn. 7 = WuW 2016, 442; vgl. auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 9. Aufl., Kap. H Rn. 43).

2. Nach diesen Maßstäben kann hier nicht von einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung abgesehen werden. Bei der in diesem Rahmen nur gebotenen summarischen Prüfung kann nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents in seiner vom Bundespatentgericht aufrecht erhaltenen Fassung Gebrauch macht.

a) Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Erkennen einer auf einem Substrat aufzubringenden Struktur mit mehreren Kameras (Anspruch 1 neu) sowie eine Vorrichtung hierfür (Anspruch 11 neu). Die Klägerin macht eine unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 (neu) u...

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