Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnismäßigkeit in Gewaltschutzverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Bestehen ernsthafte Anhaltspunkte nur für bestimmte Arten von Verletzungsformen im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2b GewSchG, verbietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, darüberhinausgehende Verbote anzuordnen.

 

Tenor

1. Auf die Beschwerden der Antragsgegner zu 1 und 2 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lörrach vom 18.02.2019 abgeändert und in Ziffer 1 des Tenors wie folgt neu gefasst:

1. Die Antragsgegner zu 1 und 2 haben es gemäß § 1 Gewaltschutzgesetz zu unterlassen:

1.1 mit den Antragstellern durch Betätigung der Hupe oder der Lichthupe ihres Fahrzeugs Kontakt aufzunehmen;

1.2 den Antragstellern zu folgen, insbesondere per Pkw.

1.3 Die Dauer der Anordnungen wird befristet bis 31.07.2019.

1.4 Die Antragsgegner zu 1 und 2 werden darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen die Schutzanordnungen nach § 1 Gewaltschutzgesetz gemäß § 4 Gewaltschutzgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden kann. Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegner zu 1 und 2 als Gesamtschuldner.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegner zu 1 und 2 wenden sich mit der Beschwerde gegen im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz.

Die Antragsgegner zu 1 und 2 leben zusammen mit ihrem volljährigen Sohn, dem Antragsgegner zu 3, in der W. Straße in R.. Die Antragsteller zu 1 und 2 bewohnten zusammen mit ihren minderjährigen Kindern, den Antragstellern zu 3 und 4, das Anwesen W. Straße in R., aus dem sie im Sommer 2018 auszogen. Die Beteiligten waren damals Nachbarn (Lichtbild I, 77).

Mit Antrag vom 14.01.2019 machten die Antragsteller das vorliegende Verfahren anhängig, mit dem sie im Wege der einstweiligen Anordnung Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz beantragten. Mit Anwaltsschreiben vom 23.01.2019 (I, 205 ff.) wurde der Antrag weiter konkretisiert.

Die Antragsteller behaupten, sie würden immer wieder von den Antragsgegnern belästigt, beobachtet und verfolgt werden. Ihren Vortrag machten sie glaubhaft u.a. durch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen des Antragstellers zu 1 (I, 179 f.), der Antragstellerin zu 2 (I, 175 ff.), der Zeugin Z. (I, 123 ff.), des Zeugen S. (I, 197 f.), der Zeugin W. (I, 201 f.), der Zeugin L. (I, 181 f.), der Zeugin R. (I, 185 ff.) und des Zeugen M. (I, 193 f.).

Die Antragsgegner zu 1 und 2 bestreiten die Vorfälle. Sie legten zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung von Frau G. vor, in der bestätigt wird, dass sich die Antragsgegner zu 1 und 2 am 09.12.2017 in der Schweiz aufgehalten haben (I, 285).

Am 08.02.2019 (I, 299 ff.) wurden die Antragsgegner zu 1 und 2 persönlich angehört, der Antragsgegner zu 3 erklärte, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

Mit Beschluss vom 18.02.2019 (I, 363 ff.) untersagte das Amtsgericht - Familiengericht - Lörrach den Antragsgegnern zu 1 und 2, mit den Antragstellern in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, Ton-/Filmaufnahmen von den Antragstellern anzufertigen, den Antragstellern zu folgen oder sich ihnen auf weniger als 100 Meter zu nähern. Bei einem zufälligen Zusammentreffen haben sie sich unverzüglich zu entfernen. Die Anordnungen wurden bis 31.07.2019 befristet. Der Antrag gegen den Antragsgegner zu 3 wurde in den Beschlussgründen zurückgewiesen.

Gegen diese, den Antragsgegnern zu 1 und 2 am 19.02.2019 (I, 389 f.) durch den Gerichtsvollzieher zugestellte Entscheidung, wenden sich die Antragsgegner zu 1 und 2 mit den am 04.03.2019 beim Amtsgericht Lörrach eingegangenen Beschwerden. Sie tragen vor, dass sie mehrfach Zeugen von Gewalttätigkeiten der Antragsteller zu 1 und 2 gegenüber ihren Kindern, den Antragstellern zu 3 und 4, geworden seien und mehrfach versucht hätten, die Antragsteller zu 1 und 2 darauf anzusprechen. Diese Einmischung in die Kindererziehung sei der wahre Grund für die zahlreichen Falschbeschuldigungen der Antragsteller zu 1 und 2 gegenüber den Antragsgegnern.

Die Antragsteller sind den Beschwerden entgegengetreten (II, 21 f.).

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und der Gründe der angefochtenen Entscheidung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 4, 58 ff. FamFG zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden, haben in der Sache nur teilweise Erfolg.

1. Nach §§ 214 Abs. 1, 49 Abs. 1 FamFG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme getroffen werden, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ein dringendes Regelungsbedürfnis ist anzunehmen, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, w...

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