Leitsatz (amtlich)

1. Zur Entscheidung über die (Selbst-)Ablehnung eines Einzelrichters ist gemäß § 45 Abs. 1, § 48 ZPO nicht der Vertreter des Einzelrichters, sondern die Kammer unter Ausschluss des abgelehnten Einzelrichters zuständig (im Anschluss an BGH Beschl. v. 6.4.2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492 Rn. 14).

2. Ein Verstoß gegen diese Zuständigkeit verletzt das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und stellt einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler im Sinne der § 529 Abs. 2, § 295 Abs. 2 ZPO dar, der einer Entscheidung des Berufungsgerichts in den Grenzen des § 538 Abs. 2 ZPO jedoch im Einzelfall - wie hier - nicht entgegen stehen muss.

3. Zum Nachweis eines manipulierten Unfallereignisses, also einer rechtfertigenden Einwilligung in die Beschädigung eines Kraftfahrzeugs.

4. Ist eine rechtfertigende Einwilligung in die Beschädigung eines Kraftfahrzeugs nachgewiesen, kann der Einwilligenden im Einzelfall - so hier - auch keine Schmerzensgeldansprüche wegen einer beim gestellten Verkehrsunfall erlittenen Körperverletzung geltend machen, wenn er sich bewusst in eine Lage begibt, in der zumindest ein abstraktes Körperverletzungsrisiko verbleibt, und er deshalb mit der Anspruchsgeltendmachung jedenfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (in Fortschreibung zum Haftungsausschluss für unerwartete körperliche Verletzungen von Mittätern nach einem Fahrzeugdiebstahl nach BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 109/17, r+s 2018, 273 Ls.; im Anschluss an KG Berlin Urt. v. 13.6.2005 - 12 U 65/04, DAR 2005, 620).

 

Normenkette

BGB § 242; StVG § 7; ZPO § 45 Abs. 1, §§ 48, 295 Abs. 2, § 529 Abs. 2, § 538 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 142/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 21.12.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen (2 O 142/21) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Nach § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere - dem Kläger günstigere - Entscheidung rechtfertigen. Beides ist vorliegend nicht der Fall.

1. Der Senat kann - ohne den Kläger dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu verletzen - in Anwendung des § 538 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO selbst entscheiden (vgl. BGH Beschl. v. 17.3.2008 - II ZR 313/06, juris).

In erster Instanz hat entgegen §§ 45 Abs. 1, 48 ZPO allein die Vertreterin als Einzelrichterin über die (Selbst-)Ablehnung des Einzelrichters befunden, obwohl hierfür die Kammer unter Ausschluss des abgelehnten Richters zuständig gewesen wäre (vgl. BGH Beschl. v. 6.4.2006 - V ZB 194/05, juris Rn. 14). Der darin liegende Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) stellt einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler im Sinne der §§ 529 Abs. 2, 295 Abs. 2 ZPO dar. Trotz dieses wesentlichen Verfahrensmangels liegen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 ZPO jedoch nicht vor, so dass der Senat vorliegend selbst entscheiden kann und muss. Denn auf Grund dieses Mangels ist keine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig. Auch ist die Zurückverweisung nicht beantragt.

2. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 303 StGB, bzgl. der Beklagten zu 2) jeweils i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG, § 1 PflVG zu; denn die Beklagte zu 2) hat auch zur Überzeugung des Senats gem. § 286 ZPO den Indizienbeweis zu einer Einwilligung des Klägers in die Rechtsgutverletzungen geführt.

Im Einzelnen:

a) Mit Blick auf den vom Kläger darzulegenden und zu beweisenden äußeren Hergang der Rechtsgutverletzungen an Körper und Eigentum kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass es durch den streitgegenständlichen Auffahrunfall zu einer kompatiblen Beschädigung seines PKW Mercedes Benz und seines Körpers bzw. seiner Gesundheit im behaupteten Umfang gekommen ist.

b) Die Beklagte zu 2) hat zunächst prozessual zulässig (vgl. hierzu OLG Hamm Beschl. v. 22.12.2020 - I-9 U 123/20, juris Rn. 4) auf Rechtswidrigkeitsebene den Manipulationseinwand erhoben. Der Beklagte zu 1) hat über seinen Prozessbevollmächtigten im Übrigen hierzu auch gar nicht abweichend vortragen lassen. Er hat sich vielmehr schlicht auf die Bevollmächtigung beschränkt, ohne seinen Prozessbevollmächtigten zur Sache ins Bild zu setzen. Divergierenden Vortrag der Beklagten gibt es also schon nicht.

c) Die Beklagte zu 2) hat nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO auch zur Überzeugung des Senats den Indizienbeweis eines manipulierten Unfallge...

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