Leitsatz (amtlich)

1. Eine Minderjährige bedarf zum Schwangerschaftsabbruch nicht der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter, wenn sie einwilligungsfähig ist, also nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Tragweite dieses Eingriffs erfassen und ihren Willen hiernach ausrichten kann.

2. An die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen durch den behandelnden Arzt sind hohe Anforderungen zu stellen. Die Fähigkeit muss sich sowohl auf den medizinischen Eingriff als auch die Rechtsgüterabwägung beziehen. Zudem muss die Minderjährige auch die Reife zur Bewertung des Eingriffs in Hinblick auf die möglichen psychischen Belastungen aufweisen.

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- F vom 12.11.2019 wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass eine Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern in den von der Antragstellerin geplanten Schwangerschaftsabbruch nicht erforderlich ist.

Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die 16-jährige Antragstellerin möchte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen.

Sie lebt seit der Trennung ihrer Eltern im Jahr 2007 im Haushalt ihrer Mutter. Die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Die Antragstellerin besucht die 10. Klasse einer Sekundarschule. Seit Sommer dieses Jahres ist sie mit dem 19-jährigen J zusammen. Ende September 2019 machte sie einen Schwangerschaftstest, dessen Ergebnis positiv war. Derzeit befindet sie sich in der 11. Schwangerschaftswoche. Der letzte Termin für eine legale Abtreibung ist laut Auskunft ihres Frauenarztes der 06.12.2019.

Nachdem die Antragstellerin sich zunächst eigenständig über die Möglichkeiten einer Fortsetzung wie auch eines Abbruchs der Schwangerschaft informiert und Gespräche mit verschiedenen Personen geführt hatte, begab sie sich am 30.10.2019 zur Schwangerschaftsberatung der AWO und führte das Beratungsgespräch gem. §§ 5 und 6 SchKG. Am 13. und 15.11.2019 stellte sich in der Praxis von Dr. S vor, am 18.11.2019 führte sie ein weiteres Gespräch bei der AWO, am 19.11.2019 stellte sie sich bei einem weiteren Facharzt für Frauenheilkunde vor.

Der Vater der Antragstellerin ist mit dem geplanten Schwangerschaftsabbruch einverstanden. Die Mutter ist entschieden dagegen. Sie ist katholisch und kann sich einen Abbruch unter keinen Umständen vorstellen. Nachdem sie ihre Einstellung gegenüber der Antragstellerin deutlich gemacht hatte, suchte diese zunächst Hilfe beim Jugendamt. Es fand ein gemeinsames Gespräch statt, das aber zu keiner Verständigung führte.

Nachdem der Antragstellerin mitgeteilt worden war, dass sie ohne Zustimmung ihrer Eltern keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen könne, hat sie am 07.11.2019 Maßnahmen nach § 1666 BGB beantragt. Das Amtsgericht hat die Beteiligten am 12.11.2019 persönlich angehört. Mit Beschluss vom selben Tag hat es den Antrag zurückgewiesen. Die Vornahme eines von einer Minderjährigen begehrten Schwangerschaftsabbruchs bedürfe wegen § 1626 Abs. 1 BGB der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter. Eine Ersetzung dieser Zustimmung komme nur in Betracht, wenn anderenfalls das Kindeswohl gefährdet wäre und die Verweigerung zur Zustimmung sich als Missbrauch des Sorgerechts oder zumindest als unverschuldetes Versagen darstelle. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Eine Gesundheitsgefährdung der Antragstellerin sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Da der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sei, könne die Verweigerung der Zustimmung durch die Kindesmutter auch nicht rechtsmissbräuchlich sein. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Kindesmutter der Antragstellerin ihre volle Unterstützung zugesagt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der nunmehr anwaltlich vertretenen Antragstellerin, die weiterhin an ihrem Begehren festhält. Sie sei nach vielen ernsthaften Gesprächen, reiflicher Überlegung und Abwägung für sich zu dem Ergebnis gekommen, dass sie weder körperlich noch seelisch in der Lage sei, die Schwangerschaft fortzusetzen. Sie sehe sich nicht in der Lage, so für ein Kind sorgen zu können, wie sie es für richtig und erforderlich halte. Gleichzeitig befürchte sie, sich bei Austragung der Schwangerschaft die Chance für ihr eigenes Leben zu verbauen. Sie ist der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer hinreichenden Reife in der Lage ist, die Bedeutung des Schwangerschaftsabbruchs mit all seinen Facetten zu erkennen, und deshalb nicht der Zustimmung ihrer Eltern bedarf.

Die Antragstellerin beantragt in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nunmehr,

festzustellen, dass eine Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern in den Schwangerschaftsabbruch nicht erforderlich ist.

Hilfsweise beantragt sie, die Einwilligung der Mutter zu ersetzen.

Die Mutter verteidigt die an...

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