Leitsatz (amtlich)

1. Ein auswärtiger Rechtsanwalt kann uneingeschränkt beigeordnet werden, wenn dessen Gesamtkosten einschließlich Reisekosten nicht höher liegen als die Kosten eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Anwalts und eines weiteren Verkehrsanwaltes am Sitz der Partei.

2. An die uneingeschränkte Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts durch das Gericht ist der Urkundsbeamte im Festsetzungsverfahren gebunden; in diesem Fall sind u.a. die Reisekosten des auswärtigen Anwalts zum Termin uneingeschränkt zu erstatten.

 

Normenkette

ZPO § 121 Abs. 3; FamFG § 78 Abs. 3; RVG § 46; FamFG § 48

 

Verfahrensgang

AG Bocholt (Beschluss vom 19.08.2015; Aktenzeichen 19 F 96/13)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bocholt vom 19.8.2015 (Aktenzeichen 19 F 96/13) abgeändert und die Vergütung des Beteiligten zu 1) auf 2.439,14 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Beteiligte zu 1) hat in einem Sorge- und Umgangsverfahren den in Bocholt wohnenden Kindesvater vertreten. Durch Beschluss des AG vom 22.11.2013 ist dem Kindesvater Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Beteiligte zu 1), der in Bad Segeberg ansässig ist, ohne Einschränkung beigeordnet worden. Im Ausgangsverfahren haben vier Erörterungstermine stattgefunden, an denen der Kindesvater zusammen mit dem Beteiligten zu 1) teilgenommen hat. Das Verfahren wurde durch Beschluss des AG vom 19.6.2015 beendet. Der Verfahrenswert ist auf 6.000,00 EUR festgesetzt worden.

Mit Schriftsatz vom 6.7.2015 hat der Beteiligte zu 1) beantragt, seine Vergütung auf 2.439,14 EUR festzusetzen. Neben einer 1,3 Verfahrensgebühr, einer 1,2 Terminsgebühr und der Auslage von 20,00 EUR werden jeweils Fahrtkosten für die Teilnahme an den Terminen in Höhe von 276,80 EUR und 70,00 EUR Abwesenheitsgeld, insgesamt 1.387,20 EUR zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat am 30.7.2015 die dem Beteiligten zu 1) zu zahlende Vergütung auf 788,38 EUR festgesetzt. Die angemeldeten Auslagen für Reisekosten und Abwesenheitsgeld sind abgesetzt worden. Die dagegen gerichtete Erinnerung hat das AG durch Beschluss vom 19.8.2015 zurückgewiesen. Nach Auffassung des AG stellt die uneingeschränkte Beiordnung eines Rechtsanwaltes keine Feststellung der erforderlichen Reisekosten im Sinne des § 46 Abs. 2 RVG dar. Vielmehr sei diese Feststellung im Rahmen der Festsetzung der Vergütung zu treffen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1). Er vertritt die Auffassung, dass im Rahmen der Vergütungsfestsetzung der die Verfahrenskostenhilfe bewilligenden Beschluss bindend sei. Da dieser keine Einschränkungen erhalte, seien die geltend gemachten Reisekosten festzusetzen.

II. Die gemäß § 56 Abs. 2 RVG zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist begründet. Seine Vergütung ist abändernd auf 2.439,14 EUR festzusetzen. Entgegen der Auffassung des AG kann der Beteiligte zu 1) seine angemeldeten Reisekosten sowie das Abwesenheitsgeld in vollem Umfang beanspruchen.

1. Da der Beteiligte zu 1) uneingeschränkt beigeordnet wurde, sind seine Reisekosten grundsätzlich zu erstatten. Dagegen können die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 FamFG im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG nicht mehr geprüft werden.

Grundsätzlich kann nach § 78 Abs. 3 FamFG ein nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn hierdurch besondere Kosten nicht entstehen. Es ist aber anerkannt, dass die Beiordnung eines auswärtigen Anwalts in Ausnahmefällen erfolgen kann (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 31. Auflage 2016, § 121 Rn. 13a). Diese Prüfung muss das Gericht bereits bei der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe vornehmen. An diese vom Gericht getroffene Entscheidung ist der Urkundsbeamte im Festsetzungsverfahren gebunden. Eine doppelte Prüfung dieser Frage durch zwei verschiedene Verfahrensorgane ist systemfremd. Demgemäß geht die ganz überwiegende Auffassung auch davon aus, dass Reisekosten zu erstatten sind, wenn im Rahmen der Beiordnung eines Rechtsanwaltes eine Beschränkung fehlt (KG Berlin FamRZ 2011, 835; OLG Stuttgart NJOZ 2008, 2006; OLG Oldenburg FamRZ 2004, 706; Zöller-Geimer, ZPO, 31. Auflage 2016, § 121 Rn. 13; Musielak-Fischer, ZPO, 13. Auflage 2016, § 121 Rn. 18b; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 8. Auflage 2016, Rn. 696).

b) Auch über die Frage, ob im Rahmen der Beiordnung eines Anwalts eine Beschränkung auf diejenigen Kosten zu erfolgen hat, die bei der Einschaltung eines Verkehrsanwalts entstehen, ist bereits bei der Beiordnung zu befinden (vgl. OLG Köln MDR 2015, 729; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 8. Auflage 2016, Rn. 696). Das Gericht muss insoweit eine Vergleichsberechnung durchführen. Denn die unbeschränkte Beiordnung eines auswärtigen Anwalts kann gleichwohl gerechtfertigt sein, wenn durch seine Reisekosten produzierende Beiordnung gleichwohl geringere Kosten entstehen, als durch die zusätzliche Beiordnung eines Verkehrsanwalts. Wenn also ...

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