Leitsatz (amtlich)

1. Die von einem familiengerichtlich bestellten Sachverständigen bei einem einzelnen Besuch im elterlichen Haushalt angestellten Beobachtungen (beruhend auf Momentaufnahmen, denen keine Exploration oder Interaktionsbeobachtung zugrunde liegt) sind in der Regel nicht geeignet, die ihm ohnehin nicht zustehende rechtliche Würdigung zu rechtfertigen, das Kind sei nach jahrelangem Zuwarten wegen einer vermuteten Erziehungsunfähigkeit seiner Mutter nunmehr unverzüglich aus der Familie herauszunehmen.

2. Der mit dem Eingriff in die elterliche Sorge für ein Kind verbundene Grundrechtseingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zu dem ohne den Eingriff zu erwartenden Schadenseintritt stehen (BVerfG FamRZ 2015, 208-210; BGH FamRZ 2016, 1752-1756).

3. Ist Ziel des staatlichen Eingriffs zunächst nur die Zuführung des Kindes zur weiteren Begutachtung durch einen Sachverständigen gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils, ist der Entzug der elterlichen Sorge mit dem Teilbereich der Entscheidung über die Begutachtung des Kindes sowie über Zuführung und Durchführung zur Begutachtung erforderlich, aber auch ausreichend (vgl. Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, § 163 FamFG, Rz. 43.) Darüber hinausgehende Eingriffe in die elterliche Sorge verbieten sich als unverhältnismäßig (Anschluss an BGH FamRZ 2019, 598-604).

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert und wie folgt neugefasst:

Der Kindesmutter wird die elterliche Sorge für ihren am ... geborenen Sohn X mit dem Teilbereich der Entscheidung über die Begutachtung des Kindes sowie über Zuführung und Durchführung zur Begutachtung vorläufig entzogen und dem Jugendamt ... als Pfleger übertragen.

Hinsichtlich der Kosten und des Werts des Verfahrens erster Instanz bleibt es bei dem angefochtenen Beschluss. Für das Beschwerdeverfahren wird von der Erhebung von Gerichtskosten und der Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten abgesehen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 1.500 EUR.

 

Gründe

I. Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter begehrt mit der Beschwerde die Aufhebung einer vom Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung erlassenen Entscheidung über den Teilentzug der elterlichen Sorge für ihren vierjährigen Sohn X.

Im Rahmen des bei dem Familiengericht zu Az. ... wegen einer möglichen Kindeswohlgefährdung geführten Sorgerechtsverfahrens wurde der Sachverständige Q. am 05.04.2019 mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens u. a. zu den Fragen der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter und einer Gefährdung des Kindeswohls beauftragt. Mit einer vom 15.05.2019 datierenden Stellungnahme teilte der Sachverständige dem Familiengericht mit, er habe bei einem Hausbesuch eine akute Kindeswohlgefährdung festgestellt, die eine sofortige Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt erfordere. Noch am selben Tag entzog das Familiengericht der Kindesmutter per einstweiliger Anordnung die elterliche Sorge für X mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts, des Rechts der Gesundheitsfürsorge, des Rechts zur Regelung des Umgangs, des Antragsrechts nach dem SGB VIII und schließlich des Rechts zur Mitwirkung am Hilfeplanverfahren. Nach persönlicher Anhörung der Beteiligten im Termin vom 01.07.2019 bestätigte das Familiengericht mit Beschluss vom 04.07.2019 die einstweilige Anordnung insoweit, als der Kindesmutter die elterliche Sorge mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge vorläufig entzogen worden war. In den Gründen der auf §§ 1666, 1666a BGB gestützten Entscheidung heißt aus, dass eine akute Gefährdung des Kindeswohls wegen der emotionalen Vernachlässigung Xs durch seine Mutter zu bejahen sei. Die Kindesmutter scheine in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt. Zwar sei noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Mangels Mitwirkungsbereitschaft der Kindesmutter an der Begutachtung müsse diese aber durch Entzug der genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge und Übertragung auf einen Pfleger ermöglicht werden. Dies gelte vor allem deshalb, weil die Mutter das Kind bereits der Begutachtung entzogen habe und seinen derzeitigen Aufenthaltsort nicht mitteilen wolle. Auf den weiteren Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen den noch am selben Tag zugestellten Beschluss richtet sich die am 12.07.2019 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde der Kindesmutter, mit der sie die Aufhebung der einstweiligen Anordnung begehrt.

Die Beteiligten wurden in zweiter Instanz erneut persönlich angehört. Zum Ergebnis der Anhörungen wird auf den Vermerk vom 19.08. und die Sitzungsniederschrift vom 21.08.2019 verwiesen.

II. Die nach §§ 57 S. 2, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zu der tenorierten Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Allerdings folgt der Senat dem Familiengericht in seiner Einschätzung, die Frage einer Kindeswohlgefährdung Xs, für die bestimmte An...

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