Leitsatz (amtlich)

Eine einen (Teil-)Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigende Kindeswohlgefährdung iSd. §§ 1666, 1666a BGB ist jedenfalls für den Fall der von den Eltern alternativlos beabsichtigten Rückführung des schwerbehinderten Kindes aus einer Einrichtung in den mütterlichen Haushalt zu bejahen, wenn ihm dort nicht nur ein Verlust der derzeitigen - besseren - Fördermöglichkeiten in der Einrichtung droht, sondern darüber hinaus eine erhebliche Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens.

 

Tenor

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Hauptsachetenor der angefochtenen Entscheidung abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:

Den Kindeseltern wird die elterliche Sorge für ihren am 25.08.2004 geborenen Sohn X. mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Antragstellung nach SGB VIII und XII entzogen.

Für die genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge wird eine Pflegschaft eingerichtet.

Zum Amtspfleger wird bestellt das Jugendamt ...

Im Übrigen bleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

Von der Erhebung von Gerichtskosten sowie der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten wird für den zweiten Rechtszug abgesehen Der Verfahrenswert für den zweiten Rechtszug wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit der Beschwerde wenden sich die Kindeseltern gegen einen Beschluss des Familiengerichts vom 31.07.2020, mit dem eine vorangegangene gerichtliche Eilentscheidung vom 05.05.2020 über den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge für ihren Sohn X. bestätigt wurde. Mit dieser zum dortigen Az. 611 F 362/20 EASO im Verfahren der einstweiligen Anordnung getroffenen Entscheidung hatte das Familiengericht den Kindeseltern die Sorge für den am ... geborenen X. mit den Teilbereichen des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Antragstellung nach den Sozialgesetzbüchern entzogen und auf das Jugendamt als Amtspfleger übertragen.

X. entstammt der nichtehelichen Beziehung seiner Eltern, die mit Sorgeerklärung vom ... die gemeinsame elterliche Sorge für ihn begründet haben. Die Eltern leben getrennt, der Kindesvater, Inhaber eines Döner-Imbisses, lebt inzwischen in einer neuen Beziehung, aus der er weitere Kinder hat. Im Haushalt der Mutter lebt noch X.s 21jährige Schwester Y., insgesamt hat er vier Halbgeschwister. X. leidet unter schwerwiegenden seelischen und geistigen Beeinträchtigungen, sein geistiger Entwicklungsstand ist der eines vier- bis fünfjährigen Kindes. Bei ihm wurde eine geistige Behinderung (F70.1) diagnostiziert, ferner ein kombinierter Entwicklungsrückstand (F81.0) und ein atypischer Autismus (F84.1) bei einer massiven Belastung der Mutter. X. kann auch in seiner türkischen Muttersprache nicht bis 5 zählen und beschäftigte sich in dem gemeinsam mit seiner Schwester bewohnten Zimmer im mütterlichen Haushalt auch noch als Teenager überwiegend mit dem Spiel mit einem Schlüsselbund und mit der Betätigung des Rollos.

Im Jahre 2010 kam es aufgrund eines Hinweises des Hausarztes der Kindesmutter zu einer ersten Überprüfung der familiären Situation durch das Jugendamt; der Arzt befürchtete wegen einer von ihm bei seiner Patientin festgestellten Depression auch eine Gefährdung der in ihrem Haushalt lebenden Kinder. Die bereits durch ihre eigene Vorgeschichte seelisch sehr belastete Kindesmutter war damals hoch verschuldet, ihr drohten eine Räumungsklage und die Kündigung des Kita-Platzes von X.. Die Situation wurde mithilfe des Jugendamts entschärft. 2014 erhielt das Jugendamt eine Mitteilung der von X. seinerzeit besuchten Z-Schule, einer Schule für praktisch Bildbare in W. mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung: Es sei beobachtet worden, dass die Kindesmutter X. anschreie, ihn schubse und schlage, auch habe sie seinem Schulbusfahrer erklärt, der Junge könne mit einem vor sein Gesicht gehaltenen brennenden Feuerzeug dazu gebracht werden, sich im Bus ruhig hinzusetzen. Die Kindesmutter bestritt damals bis auf die von ihr eingeräumte Praxis der Beruhigung X.s mit dem Feuerzeug sämtliche gegen sie erhobenen Vorwürfe, eine Überprüfung lies das Jugendamt aber zumindest auf ihre deutliche Überforderung bei der Erziehung des Jungen schließen. 2016 meldete ein Passant bei der Polizei, dass ein Kind hilflos im Straßenverkehr umherirre; Polizeibeamte griffen das Kind - X. - auf und brachten ihn zu seinem Vater, der jedoch keinen Anlass zur Besorgnis sah. Anfang 2017 kam es schließlich auf die Mitteilung der Kindesmutter hin, dass sie Hilfe benötige, zur Installation einer SPFH in der Familie. Das Jugendamt beendete die Maßnahme aber bereits Mitte Mai wieder und führte zur Begründung die fehlende Kooperationsbereitschaft der Kindesmutter an, die mehrere Gesprächstermine versäumt habe. Weitere Maßnahmen der Jugendhilfe wurden zunächst nicht mehr ergriffen. Im September 2017 fiel X. erneut einem Passanten auf, als er ziellos durch die Gegend lief und längere Zeit gegen Erdgeschossfenster benachbarter Häuser schlug. Angesichts nahender P...

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