Leitsatz (amtlich)

Ein Eindringen in ein befriedetes Besitztum setzt bei einem Hineinlehnen des Täters in den Luftraum oberhalb des Besitztums voraus, dass der Täter zumindest beabsichtigte, das Besitztum auch zu betreten.

 

Normenkette

GewSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a

 

Verfahrensgang

AG Hanau (Beschluss vom 19.10.2015; Aktenzeichen 62 F 1318/15)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Antragsgegner wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten bewohnen nebeneinander gelegene Wohnungen in dem Haus... Beide Wohnungen verfügen über Balkone, die durch eine teilweise nur halbhohe Brüstung getrennt sind. So ist es möglich, von einem der Balkone den Nachbarbalkon und einen Teil der dem Balkon zugewandten Fensterfront der Nachbarwohnung einzusehen. Es ist aber nicht möglich, vom Balkon des Antragsgegners die Balkontür der Antragstellerin einzusehen.

Am Abend des 24.06.2015 kam es zu einer Konfrontation zwischen den Beteiligten, als sich der Antragsgegner über die Brüstung beugte und sich zumindest mit seinem Kopf bzw. Oberkörper im Bereich des Balkons der Antragstellerin befand. Hierauf kam es zu einem Streit zwischen den Beteiligten, in dessen Verlauf die Antragstellerin dem Antragsgegner dieses Verhalten untersagte, weil sie sich von ihm in ihrer Privatsphäre gestört fühlte. Unmittelbar danach brachte die Antragstellerin auf ihrem Balkon eine Kamera an, mit der sie Aufnahmen von der Brüstung und dem Balkon des Antragsgegners anfertigen konnte. In der Folgezeit kam es zu mindestens einem weiteren Zwischenfall zwischen den Beteiligten, als der Antragsgegner im Sichtfeld der von der Antragstellerin angebrachten Kamera ein Schild mit der Aufschrift "Vorsicht Kamera" hochhielt.

Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz an Eides Statt versichert, der Antragsgegner habe sie seit Juni 2015 systematisch belästigt und auch verbal beleidigt. Auch nach dem von ihr ausgesprochenen Verbot habe der Antragsgegner am 27.06.2015, 28.06.2015, 22.07.2015 und 23.07.2015 mehrfach an der Trennwand zwischen ihren Balkonen vorbei in ihre Wohnung gesehen. Die Antragstellerin führt aus, durch das "ständige Gucken" des Antragsgegners sei ihre Lebensqualität erheblich gemindert. Auf der Grundlage dieses Vortrags hat die Antragstellerin beim AG Hanau den Erlass von Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Insbesondere hat die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner zu verbieten, ihr dadurch nachzustellen, dass er sich an der Brüstung zwischen den Balkonen vorbeibeugt und so ihre Wohnung beobachtet.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat eingeräumt, sich vor der Konfrontation am 24.06.2015 über die Brüstung auf die Seite der Antragstellerin herüber gebeugt zu haben. Dabei habe er sich zumindest mit seinem Kopf im Bereich des Balkons der Antragstellerin befunden. Er habe dies getan, weil er aus der Wohnung der Antragstellerin Geräusche gehört habe, denen er auf den Grund gehen wollte. Im Übrigen versichert er an Eides Statt, dass er dies nach dem Streit am 24.06.2015 - auch mit Rücksicht auf die von der Antragstellerin angebrachte Kamera - nicht mehr getan habe.

Mit Beschluss vom 19.10.2015, der dem Antragsgegner am 10.12.2015 zugestellt worden ist, hat das AG dem Antragsgegner - befristet bis zum 19.04.2016 - unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, der Antragstellerin nachzustellen oder sich auf ihren Balkon herüberzubeugen. Dabei sieht das AG in dem Verhalten des Antragsgegners am 24.06.2015 ein Eindringen in das befriedete Besitztum der Antragstellerin gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a GewSchG.

Hiergegen richtet sich die am 23.12.2015 beim AG eingegangene Beschwerde des Antragsgegners, mit der er im Wesentlichen geltend macht, eine bloße Verletzung des "Luftraums" über dem Balkon der Antragstellerin stelle noch keinen Hausfriedensbruch dar.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Ihrer Auffassung nach liegt nicht nur eine Tat nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a GewSchG vor. Vielmehr stelle das gesamte Verhalten des Antragsgegners eine systematische Nachstellung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2b GewSchG dar.

II. Die gemäß §§ 57 Nr. 4, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Zurückweisung des Antrags auf Erlass von Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Denn die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner eine Tat im Sinne von § 1 GewSchG zu ihrem Nachteil begangen hat.

Entgegen der vom AG vertretenen Auffassung lässt sich das Verhalten des Antragsgegners am 24.06.2016 nicht unter den Tatbestand des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a GewSchG subsumieren, da das unstreitige Herüberlehnen des Antragsgegners über die Brüstung zwischen den beiden Balkonen nicht als Eindringen in das befriedete B...

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