Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsschließungsversicherung: Kein Versicherungsschutz bei Corona-bedingter Betriebsschließung

 

Normenkette

AVB-BS § 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 21.07.2021; Aktenzeichen 28 O 36/21)

 

Tenor

Auf den Hinweis wurde die Klage zurückgenommen.

 

Gründe

In dem Rechtsstreit

...

weist der Senat nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darauf hin, dass er auf der Grundlage der BGH-Entscheidung vom 26.01.2022 davon ausgeht, dass eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 vorliegend nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist (vgl. zu nahezu identischen Versicherungsbedingungen BGH, Urteil vom 26.01.2022, IV ZR 144/21). Der Schreibfehler in § 1 Nr. 2 AVB-BS, wonach dort das Infektionsschutzgesetz als "Infektionsgesetz" bezeichnet wird, dürfte nach vorläufiger Auffassung ebenfalls eine andere Wertung nicht rechtfertigen.

Auch die Mitteilung auf der Homepage der Beklagten Mitte ... 2020 bzw. das Interview vom XX.XX.2020 dürften nach vorläufiger Würdigung des Senats nicht zu einer anderen Bewertung führen.

Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist allein die rechtliche Einschätzung der Parteien bei Vertragsschluss bzw. bei einer nachträglichen Vertragsänderung maßgebend. Die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen hat dabei nach einem objektiv - generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss. Daher kommt es hier auf das Verständnis der Versicherten in ihrer Gesamtheit an. Der tragende Grund für eine solche Auslegung liegt im Massencharakter der unter Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlossenen Verträge und dem fehlenden Einfluss der Kunden bzw. Versicherten auf ihren Inhalt (st. Rspr des BGH, vgl. Urteil vom 14. 6. 2006 - IV ZR 55/05, beck online Rn. 13 m.w.N.). Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur dann, wenn sich Verwender und Versicherungsnehmer im Einzelfall über ein von dem Ergebnis objektiver Auslegung abweichendes Verständnis des Sinngehalts der Regelung - auch durch schlüssiges Handeln - einigen; dann geht diese übereinstimmende Vorstellung wie eine Individualvereinbarung dem Ergebnis der objektiven Auslegung vor (vgl. BGH, a.a.O.).

Dabei ist eine über den Klauselinhalt hinausgehende, rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen den jeweiligen Parteien erforderlich, durch die der Sinn der streitigen Klausel speziell im Verhältnis zwischen den Parteien für diese verbindlich festgelegt wird (BGH, a.a.O., Rn. 14; vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.11.2021, 1 U 118/21, beck online m.w.N.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.2022, 1 U 152/21).

Dass eine derartige bindende Vereinbarung zwischen den Parteien des Rechtsstreits über den Sinngehalt des § 1 Ziffer 1 und 2 AV-BS und den sich daraus ergebenden erweiterten Versicherungsumfang getroffen worden wäre, behauptet die Klägerin nicht.

Das lediglich einseitige Interview eines Vorstandsmitglieds der Beklagten und die Angaben auf der Homepage der Beklagten zum Umfang der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung dürften daher nicht ausreichen für ein vom objektiven Sinngehalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, insbes. von § 1 Ziff. 2 AVB-BS, abweichendes Verständnis (so auch OLG Oldenburg, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund wird angeregt, dass die Klägerin eine Klagerücknahme erwägt. Anderenfalls werden beide Parteien um Mitteilung gebeten, ob einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt wird.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.06.2022.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15399758

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