Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflicht bei umgestürztem Straßenbaum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes seitens einer Gemeinde gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG liegt auch dann vor, wenn die Gemeinde ein Privatunternehmen mit der Beseitigung einer Aufwölbung auf einem Gehweg beauftragt, das Unternehmen dann Wurzeln eines an der Straße stehenden Baumes entfernt, und dieser später mangels hinreichender Verankerung umfällt, wodurch eine vorbeifahrende Radfahrerin verletzt wird.

2. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt hier dann vor, wenn erkennbar für die Standsicherheit des Baumes wesentliche Wurzeln entfernt werden oder nicht zumindest nach Entfernung einzelner Wurzeln eine Überprüfung des Baumes (hier: Robinie als Flachwurzler) erfolgt, um zu klären, ob überhaupt noch genügend Haltewurzeln vorhanden sind.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 34; NStrG § 10

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 27.08.2008; Aktenzeichen 5 O 235/06)

 

Tenor

Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird das am 27.8.2008 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Stade teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.439,31 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.3.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 23.12.2004 auf der A. straße in O. künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervenientin, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Berufung ist bis auf den zuerkannten Verdienstausfallschaden unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht insoweit weder auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO).

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB gegen die Beklagte zu. Insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin verletzt wurde und u.a. eine Rotationsberstungsfraktur am Brustwirbelknochen 12 erlitt, als sie am 23.12.2004 gegen 12.45 Uhr mit ihrem Fahrrad in O. die A. straße befuhr und dort eine am Straßenrand auf einem Beet befindliche Robinie umknickte und auf sie stürzte.

a) Die Beklagte hat zunächst bei den Arbeiten, die mit der Beseitigung der unter dem Gehsteig entlanglaufenden Wurzeln der Robinie verbunden sind, in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt. Nach § 10 NStrG obliegen der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Straßen sowie die Überwachung der Verkehrssicherheit den Organen der damit befassten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung öffentlicher Gewalt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte diese Arbeiten nicht selbst, sondern durch die Nebenintervenientin, die K. GmbH, hat durchführen lassen. Deren Verhalten muss sie sich unmittelbar zurechnen lassen. Dagegen spielt es keine Rolle, dass in der Samtgemeinde H., zu der die Beklagte gehört, die Straßen- und Kanalunterhaltungsarbeiten durch privat-rechtlichen Vertrag für die Jahre 2004 - 2006 auf die K. GmbH übertragen wurden.

Beamter i.S.d. Art. 34 S. 1 GG ist jeder, der mit öffentlicher Gewalt ausgestattet ist, unabhängig davon, ob ihm staatsrechtliche Beamteneigenschaft zukommt. Beamte können deshalb auch Private oder private Unternehmer sein, wenn sie von einem Verwaltungsträger mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in Form der Beleihung betraut sind, aber auch bei bloßen Hilfstätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Verwaltung, sog. Verwaltungshelfer (BGH VersR 2006, 698; 2005, 362). Soweit Verwaltungshelfer von der öffentlichen Hand durch Dienst- oder Werkverträge herangezogen wurde, ist darauf abzustellen, wer Vertragspartner des Verwaltungsträgers ist. Insoweit kommen auch juristische Personen des Privatrechts als Verwaltungshelfer in Betracht. Maßgebend ist mithin nicht die Person des Handelnden, sondern die Funktion, die er wahrnimmt (BGHZ 118, 304; VersR 2003, 67). Bei der Beurteilung der Rechtstellung selbständiger privater Unternehmer, die der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben durch privat-rechtlichen Vertrag heranzieht, ist darauf abzustellen, ob die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss genommen hat, dass sie die Arbeiten des privaten Unternehmers wie eigene gegen sich gelten lassen und es so angesehen werden muss, wie wenn der Unternehmer lediglich als Werkzeug der öffentlichen Behörde bei der Durchführung ihrer hoheitlichen Aufgabe tätig geworden wäre (BGH VersR 1993, 881). Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbin...

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