Leitsatz (amtlich)

1. Die Anrechnungsbestimmung gemäß Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV, wonach bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nur eine verminderte Verfahrensgebühr (vgl. BGH, Beschl. v. 22.1.2008 - NJW 2008, 1323 f.) entsteht, ist auch bei der Vergütungsfestsetzung zugunsten eines im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordneten Rechtsanwalts zu beachten.

2. Diese Anrechnung bei der Vergütungsfestsetzung im Prozesskostenhilfeverfahren steht nicht im Widerspruch zu § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und § 58 Abs. 2 RVG, weil sie der gesetzlichen Regelungssystematik entspricht.

3. Die Anrechung bei der Vergütungsfestsetzung im Prozesskostenhilfeverfahren ist auch verfassungsgemäß, weil dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Gebührenordnungen ein Ermessenspielraum zusteht (BVerfGE 101, 331, 347) und die finanziellen Beeinträchtigungen durch die dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zugrunde liegende Mischkalkulation hinreichend ausglichen werden.

4. Die Gefahr, dass ein im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordneter Rechtsanwalt durch die Anrechnungsbestimmung auf einen Gebührenanspruch gegenüber seinen Mandanten verwiesen werden könnte, den er wegen dessen wirtschaftlicher Verhältnisse nicht realisieren kann, besteht nicht bzw. kann der Rechtsanwalt selber ausschließen. Verfügt der Mandant im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Beratung über ausreichend finanzielle Mittel, kann sich der Rechtsanwalt durch einen Vorschuss absichern. Hat der Mandant nicht die ausreichenden Mittel, kann Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz in Anspruch genommen werden mit der Folge, dass eine Anrechnung nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV unterbleibt und die Vergütung aus der Beratungshilfe lediglich nach Ziff. 2503 Nr. 2 RVG-VV anzurechnen ist.

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Beschluss vom 08.08.2008)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des LG Braunschweig vom 8.8.2008 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Das LG hat der Klägerin mit Beschluss vom 2.5.2008 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Rechtsanwalt X. als Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 08.05.2008 beantragte dieser die Zahlung von 628,68 EUR, wobei er neben einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr bezogen auf einen Streitwert von 86.126,94 EUR die Post- und Telekommunikationspauschale sowie 19 % Umsatzsteuer geltend machte. Ferner teilte er mit, vorgerichtliche Gebühren aus VV Nr. 2300 i.H.v. 260,40 EUR von der Klägerin erhalten zu haben.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim LG Braunschweig interpretierte das Schreiben des Prozessbevollmächtigten als Vorschussantrag, bewilligte jedoch nur einen Vorschuss i.H.v. 473,74 EUR, weil sie der Auffassung war, dass die Hälfte der erhaltenen vorgerichtlichen Gebühren auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei. Der Erinnerung von Rechtsanwalt X. vom 23.5.2008 half das LG Braunschweig mit Beschluss vom 8.8.2008 nicht ab. Gegen diese Entscheidung wendet sich Rechtsanwalt X. mit der sofortigen Beschwerde vom 15.8.2008, die am 18.8.2008 beim LG Braunschweig einging. Er ist der Auffassung, dass die vorgerichtliche Zahlung auf seinen Anspruch auf Prozesskostenhilfevergütung aus der Staatskasse nicht anzurechnen sei.

II. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 RVG zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 RVG steht einem Rechtsanwalt im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens für bereits entstandene Gebühren ein angemessener Vorschuss zu. Da bisher nicht in der Sache verhandelt worden ist, kann sich der Vorschussanspruch von Rechtsanwalt X. nur auf die Verfahrensgebühr zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer unter Berücksichtigung der Gebührenvorschriften nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz richten.

Entgegen der Ansicht von Rechtsanwalt X. findet dabei aus den nachfolgenden Gründen eine hälftige Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr statt:

Gemäß §§ 45 Abs. 1, 55 Abs. 1 RVG ist die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts in Höhe der gesetzlichen Vergütung festzusetzen, wobei sich die Höhe der Wertgebühr nach § 49 RVG richtet. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich nach der Rechtsprechung des BGH gemäß Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 RVG-VV anfallende Verfahrensgebühr durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV mindert. Dabei ist es bereits dem Wortlaut der Anrechnungsbestimmung nach ohne Bedeutung, ob die ggf. vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist (BGH NJW 2008, 1323, 1324). Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass Geschäf...

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