Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung eines Vollrauschs i.S.d. § 323a StGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rausch i.S.d. § 323a StGB verlangt den sicheren Nachweis, dass sich der Täter in einen Zustand versetzt hat, der ihn so beeinträchtigt, dass mindestens der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht ist.

2. Es gibt keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, der dazu berechtigt, allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration auf eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu schließen. Liegt der Wert der Blutalkoholkonzentration über 2 g Promille besteht zwar Anlass, die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu erörtern und entsprechende Feststellungen zu treffen, jedoch bedeutet dies für sich allein noch nicht, dass eine verminderte Schuldfähigkeit tatsächlich sicher anzunehmen wäre.

3. Die sog. Maximalrechnungsmethode (maximaler Abbauwert von 0,2 g Promille je Stunde sowie einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 g Promille) führt zu besonders hohen Blutalkoholkonzentrationen und darf deshalb nicht zur Anwendung kommen, wenn sich die Höhe der Blutalkoholkonzentration - wie hier bei der Feststellung des Tatbestands - zum Nachteil des Täters auswirkt.

4. Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen.

 

Normenkette

StGB §§ 20-21, 323a

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Entscheidung vom 05.03.2014)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 5. März 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Northeim vom 10. Oktober 2013 ist der Angeklagte vom Anklagevorwurf, am 2. Juni 2013 ein Vergehen der Straßenverkehrsgefährdung (§§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB) begangen zu haben, freigesprochen worden. Außerdem hat das Amtsgericht Northeim am selben Tag den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 31. Juli 2013 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Göttingen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrauschs mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 10,- € belegt. Die Kammer hat dem Angeklagten zugleich die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf einer Sperrfrist von noch 8 Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Zuvor hatte die Kammer durch Beschluss vom 5. März 2014 die erneute vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet.

Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger mit einem am 11. März 2014 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und diese - nach Zustellung des Urteils am 10. April 2014 - mit einem am 12. Mai 2014 (Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Landgericht habe die Voraussetzungen des vorsätzlichen Vollrausches verkannt. Erforderlich sei es, dass sich der Täter wissentlich und willentlich in einen Rausch versetze, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen erheblich herabsetze. Nach dem "in dubio" Satz sei die Kammer gehalten gewesen, von allenfalls 2,15 g Promille und nicht - wie geschehen - von 2,95 g Promille auszugehen. Die Vorstrafe (Strafbefehl des AG Parchim wegen Trunkenheit im Verkehr, BAK 1,59 g Promille) sei zudem nicht ergiebig für den Vorsatznachweis, weil sie nur eine Erfahrung des Angeklagten weit unterhalb des sicheren Bereichs des § 21 StGB belege. Ein sukzessiver Rauschmittelkonsum auf einer Feier rechtfertige ebenfalls nicht den sicheren Schluss auf eine beabsichtigte "Grenzüberschreitung" zu einer akuten Intoxikation i.S.d. § 323 a StGB. Überdies fehlten Feststellungen zur Wechselwirkung von Alkohol und Cannabis. Er beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt demgegenüber, die Revision des Angeklagten als unbegründet i. S. d. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Die Revision ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Aufhebung des Urteils ist geboten, weil die Kammer die Voraussetzungen für einen Rausch i.S.d. § 323 a StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Ein solcher Rausch verlangt nach der Rechtsprechung den sicheren Nachweis, dass sich der Täter in einen Zustand versetzt, der ihn so beeinträchtigt, dass zumindest der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht ist (BGH, Urteil vom 22.03.1979, 4 StR 47/79, juris, Rn. 6 f.; OLG Köln, Beschluss vom 23.01.2001, Ss 494/00, juris, Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.09.2004, 1 Ss 102/04, juris, Rn. 8; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 28.07.2006, 1 Ss 158/06, juris, Rn. 12 f.; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 323 a Rn. 7 m...

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