Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollrausch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Rausch muss als Tatbestandsmerkmal des § 323a Abs. 1 StGB zweifelsfrei vorliegen, also zur sicheren Überzeugung des Tatrichters erwiesen sein; bleiben Zweifel über das "Ob" der Berauschung, ist eine Verurteilung nach § 323a StGB ausgeschlossen. Die Verurteilung wegen Vollrausches setzt die (sichere) Feststellung eines Rausches voraus, weil nur dann die strafbarkeitsbegründende Tathandlung, das Sich-in-einen-Rausch-versetzen, an die auch die Strafzumessung anknüpft, gegeben ist.

2. In einem Fall des Zweifels, der von voller Schuldfähigkeit bis zu Schuldunfähigkeit reicht, ist der Angeklagte freizusprechen.

3. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB muss nicht zwingend zur Strafmilderung führen.

 

Normenkette

StGB §§ 64, 323a Abs. 1; StPO § 318 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 20.01.2020; Aktenzeichen (560) 282 AR 124/19 Ns (80/19))

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten, dem die Amtsanwaltschaft Berlin mit Anklageschrift vom 8. Januar 2019 zwei Vergehen der Sachbeschädigung und der vorsätzlichen Körperverletzung vorgeworfen hatte, mit Urteil vom 23. Mai 2019 wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Zur Person des Angeklagten hat das Amtsgericht ausgeführt, dass dieser seit etwa zehn bis zwölf Jahren alkoholkrank sei. In der Zeit vom Jahr 2016 bis zum Jahr 2018 habe er eine ambulante Therapie gemacht, an der er einmal wöchentlich teilgenommen habe. In dieser Zeit habe er nach eigenen Angaben keinen Alkohol getrunken. Am Tattag sei es zu einem Rückfall gekommen.

Das Amtsgericht hat der Verurteilung die folgenden Feststellungen zugrunde gelegt (Text wie im Original):

"Vorgeschichte

Am 29.08.2018 begann der Angeklagte - der wie er wusste, alkoholkrank ist und zu dem Zeitpunkt seit 2016 'trocken' war - aus ungeklärtem Grund im Laufe des Nachmittags, obwohl seine damals sieben und zehn Jahre alten Kinder bei ihm in der Wohnung waren, Bier zu trinken. Aufgrund des Alkoholkonsums geriet der Angeklagte, der jedenfalls einmal zuvor, nämlich in der Zeit vom 12.12.2015 bis 13.12.2015 eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hatte und deswegen wegen Vollrausches am 14.06.2017 rechtskräftig verurteilt worden war, nicht ausschließbar sowie für ihn vorhersehbar und vermeidbar in einen Rauschzustand.

Tatgeschehen

Gegen 21.30 Uhr des vorgenannten Tages belästigte der zu diesem Zeitpunkt bereits ersichtlich alkoholisierte Angeklagte - nachdem er außer Bier noch hochprozentige Alkoholika zu sich genommen hatte - die Zeugen Ho, Z und R, die sich an einem Tisch in der Außengastronomie vor der Kneipe 'Zur E' in B.n über einem Laptop sitzend befanden. Er beleidigte diese - obwohl er sie nicht kannte und kein ersichtlicher Anlass bestand - lautstark und entfernte sich trotz mehrfacher Bitte der Zeugen nicht. Als diese aufgrund des aggressiven Auftretens des Angeklagten beabsichtigten, sich in das Innere der Gaststätte zu begeben, trat der Angeklagte gegen die Hand der Zeugin R, in der diese den Laptop des Zeugen Ho trug, da der Zeuge Ho auf eine Gehhilfe angewiesen ist und den Laptop nicht selber tragen konnte. Der Laptop fiel aufgrund des Trittes zu Boden und ließ sich nicht mehr einschalten. Es entstand ein Sachschaden von ca. 100,00 Euro.

Ungeachtet dessen randalierte der Angeklagte weiter, beschimpfte die Zeugen und schlug um sich, unter anderem in Richtung des Zeugen Z. Aufgrund dessen wurde er durch den Zeugen Z und einen unbekannt gebliebenen Gast zu Boden gebracht. Der Zeuge Z. hielt den Angeklagten am Boden fest, um weitere tätliche Angriffe zu unterbinden. Der Angeklagte biss dem Zeugen Z daraufhin in dessen Knie. Der Zeuge Z erlitt Schmerzen, blaue Flecken und eine Bisswunde. Er ließ in der Folgezeit einen HIV-Test bei einem Arzt durchführen.

Die dem Angeklagten um 23:00 Uhr entnommene Blutprobe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 2,21 Promille."

Im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht ausgeführt, es sei "nach den Aussagen der vernommenen Zeugen und der festgestellten Blutalkoholkonzentration nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich zur Tatzeit aufgrund des zuvor in erheblichem Umfang genossenen Alkohols in einem Zustand vollständig aufgehobener Hemmungs- und Steuerungsfähigkeit, mithin in einem solchen der aufgehobenen Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 StGB, befunden hat."

Den Fahrlässigkeitsvorwurf hat es mit Hinweis auf eine - nicht weiter dargestellte - Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches durch einen Strafbefehl vom 14. Juni 2017 begründet, aus der sich ergebe, dass der Angeklag...

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