Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen - unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist.

2. Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch oder die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung.

3. Ein Rausch im Sinne des § 323a StGB setzt voraus, dass sich der Täter in einen Intoxikationszustand versetzt hat, der ihn so beeinträchtigt, dass je-denfalls der Bereich erheblich verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB sicher nachgewiesen - ein Fall nicht auszuschließender Schuldfähigkeit also nicht gegeben - ist.

4. Eine Rückrechnungsmethode, die zur Annahme einer besonders hohen Blutalkoholkonzentration führt, darf bei der Prüfung, ob ein (hinreichend schwerer) Rausch vorliegt, nicht zur Anwendung kommen; ebenso wenig dürfen insoweit die Voraussetzungen des § 21 StGB nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" angenommen werden.

5. Wegen vorsätzlichen Vollrausches kann nur bestraft werden, wer sich wissentlich und willentlich in einen rauschbedingten Zustand der (möglichen) Schuldunfähigkeit versetzt hat.

6. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass Alkoholgenuss in einer Menge, die zu einer Blutalkoholkonzentration ab einer bestimmten Höhe führt, bei einem alkoholgewöhnten Täter, der die Auswirkungen des Alkohols bei sich kennt, stets den Schluss auf die vorsätzliche Herbeiführung eines Rauschzustandes erlaubt.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 09.02.2017; Aktenzeichen (581) 232 Js 3715/15 Ls Ns (128/16))

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt und diese in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt und die Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Das Landgericht hat die Berufungsbeschränkung als wirksam angesehen und das Rechtsmittel verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision.

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht zu Unrecht eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung angenommen und deshalb über den Verfahrensgegenstand nur unvollständig entschieden hat.

a) Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen - unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist (vgl. BGHSt 27, 70; OLG Bamberg OLGSt StPO § 318 Nr. 25 - juris Rdn. 3; KG StV 2013, 637 - juris Rdn. 4; Senat, Beschluss vom 7. Februar 2017 - [5] 121 Ss 4/17 [3/17] -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl., § 318 Rdn. 33, § 352 Rdn. 4).

aa) Grundsätzlich gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (vgl. KG, Urteil vom 22. September 2014 - [4] 161 Ss 148/14 [203/14] -). Somit führt nicht jeder Mangel des infolge der Beschränkung grundsätzlich in Rechtskraft erwachsenen Teils des Urteils, insbesondere auch nicht jede Lücke in den Schuldfeststellungen, zur Unwirksamkeit der Beschränkung (vgl. Senat a.a.O.).

Die wirksame Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt jedoch voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht. Dies ist namentlich dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGHSt 33, 59; BayObLG NStZ-RR 2003, 310; NStZ 1998, 532; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 298; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 300; OLG Bamberg a.a.O. - juris Rdn. 4; KG a.a.O. und Beschluss vom 30. März 2012 - [2] 161 Ss 28/12 [7/12] - m.w.N.). Die Beschränkung ist ferner insbesondere dann unwirksam, wenn auf der Grundlage der Feststellungen zum Schuldspruch überhaupt...

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