Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung eines schwerbehinderten Fremdgeschäftsführers auf einen Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen

 

Orientierungssatz

1. Die aus § 71 SGB 9 folgende Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen besteht für wenigstens 5 % der Arbeitsplätze. Solche Arbeitsplätze sind alle Stellen, auf denen u. a. Arbeitnehmer beschäftigt werden. Als besetzter Pflichtarbeitsplatz gilt nach § 75 Abs. 3 SGB 9 auch der schwerbehinderte Arbeitgeber selbst.

2. Ein Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen ist nicht i. S. von § 75 Abs. 3 SGB 9 in der Person des Arbeitgebers besetzt, wenn der Gesellschafter bzw. Inhaber einer juristischen Person selbst schwerbehindert ist. Der Sinn der Ausgleichsabgabe liegt darin, die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Bei einem Fremdgeschäftsführer ist deshalb zu prüfen, ob er als Arbeitnehmer beschäftigt und im Rahmen der Pflichtquote zu berücksichtigen ist, vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1992 - 11 RAr 79/91.

3. Der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter einer juristischen Person gilt regelmäßig nicht als Arbeitnehmer. Ist der Geschäftsführer am Stammkapital der Gesellschaft zu weniger als 50 % beteiligt, so liegt dann keine abhängige Beschäftigung vor, wenn er nach der vertraglichen Regelung und deren tatsächlicher Durchführung im Wesentlichen weisungsfrei ist.

4. Hat er die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu beachten, ist eine feste Geschäftsführervergütung vereinbart, ebenso eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mit Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgratifikation, so ist regelmäßig von einer Arbeitnehmereigenschaft auszugehen. Als Schwerbehinderter ist er damit nach § 75 SGB 9 auf einen Pflichtarbeitsplatz anzurechnen.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 11. November 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 3.120 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob die Beklagte die Anzeige der Klägerin zur Besetzung der Pflichtarbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu Recht korrigieren konnte.

Die Klägerin ist als gemeinnützige GmbH gegründet und im Handelsregister eingetragen. Sie ist Mitglied im D. K. verband B. e.V. (jetzt D. K. verband S. Landkreis e.V. mit Sitz in B. ), der zugleich ihr einziger Gesellschafter ist.

Die Klägerin sandte der Beklagten mit Schreiben vom 13. Januar 2005 eine Berechnung von Pflichtarbeitsplätzen, der Beschäftigungspflicht, der jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote, der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Personen und der zu zahlenden Ausgleichsabgabe für das Jahr 2004 auf Grundlage des § 80 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Hierin führte die Klägerin bei schwankenden Beschäftigtenzahl zwischen 172 und 184 Arbeitnehmern (jahresdurchschnittliche Arbeitsplatzzahl 177,67) drei Arbeitnehmer auf, die Pflichtarbeitsplätze nach § 80 Abs. 1 SGB IX besetzten. Hierzu zählte die Klägerin auch ihren damaligen Geschäftsführer, Herrn M., der zu 50 v.H. schwerbehindert ist. Die Klägerin errechnete aufgrund dieser Angaben eine Ausgleichsabgabe von 18.460 Euro.

Mit als "Feststellungsbescheid gemäß § 80 Absatz 2 SGB IX für das Kalenderjahr 2004" bezeichnetem Schreiben vom 28. Februar 2008 stellte die Beklagte die Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten mit nur zwei und eine Ausgleichsabgabe von 21.580 Euro fest: Die Klägerin habe die Anzeige nicht richtig erstattet, da nach § 75 SGB IX ein schwerbehinderter Arbeitgeber nur auf einen Pflichtarbeitsplatz angerechnet werde, wenn er eine natürliche Person sei.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus: Nach ihrer Ansicht sage die Bestellung als Geschäftsführer nichts über die Arbeitnehmereigenschaft bzw. Eigentümerstellung aus und im Übrigen sei ein schwerbehinderter Arbeitgeber auf einen Pflichtarbeitsplatz anzurechnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Der in der Anzeige der Klägerin für die Berechnung einer Ausgleichsabgabe aufgeführte schwerbehinderte Herr M. sei nicht zu berücksichtigen. Der Geschäftsführer einer GmbH könne kein Arbeitnehmer im Sinne des § 73 SGB IX sein. Das gelte selbst dann, wenn er als Angestellter beschäftigt werde und eine Beitragspflicht zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung bestehe.

Hiergegen hat die Klägerin am 11. November 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau (SG) erhoben.

Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2005 als rechtswidrig erachtet und mit Urteil vom 11. November 2008 aufgehoben: Die Anzeige der Klägerin sei nicht unrichtig gewesen, denn ihr Geschäftsführer sei auf einen Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen anzurechnen. Er s...

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